Agile Vertriebsziele: noch nie waren sie so wertvoll wie heute!

Ein Beitrag der DDIM.fachgruppe // Vertrieb & Marketing. Autor: Rainer Simmoleit

„Noch nie war er so wertvoll wie heute“ warb Klosterfrau Melissengeist jahrzehntelang. Dasselbe gilt auch für agile Vertriebsziele. Wie der Melissengeist diverse Krankheiten verhindert und heilt, so kann Agilität Unternehmen sicher durch die Krise bringen. Als Antwort auf schnell wechselnde Marktbedingungen geschaffen, erleben agile Werte, Methoden und Techniken in diesen Tagen eine große Bewährungsprobe. Keine Frage, dass sie ihre Stärken auch im Vertrieb beweisen werden.
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Unternehmen, die bereits einen agilen und starken Sales- und Servicebereich aufgebaut haben, sind jetzt im Vorteil. Sie nehmen die Krise als eine besondere Ausprägung der VUCA-Welt. Alle anderen sollten jetzt beginnen, kontinuierlich zu erfragen und zu erspüren, was der Kunde heute und morgen will, welche Anforderungen, Ärgernisse und „Pain Points“ er hat und haben wird. Denn, machen wir uns nichts vor: Die wirtschaftlichen Verwerfungen werden uns noch beschäftigen, wenn das Virus längst besiegt ist.

Fliegender Start

Das Gute ist: Wer im Vertrieb künftig agil arbeiten will, muss keinen völligen Neustart hinlegen. Sehr viele Unternehmen mit B2B-Vertrieb haben sich längst dem Pull-Prinzip verschrieben. Der Kunde bestimmt, was getan wird. Durch ständige Arbeit an den eigenen Vertriebsprozessen passt man sich den Arbeitsweisen des Kunden an. Damit ist der Vertrieb mehr denn je vor allem Problemlöser, der planvoll vorgeht und gleichzeitig schnell auf neue Herausforderungen reagiert. In der Unwegsamkeit disruptiver Märkte und Produkte ist Schnelligkeit kein Fehler. Aber das Rennen machen nicht mehr die hochgezüchteten Sprinter. Gefragt sind Crosscountry-Läufer, die auch unter widrigen Bedingungen den Weg finden.
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Doch wie wird man vom Sales -Sprinter zum Vertriebs -Geländeläufer? Zunächst, indem man sich von der Orientierung an Gestern löst. Im klassischen Zielsystem geht es darum, frühere Ziele zu übertreffen. Erfolg und Misserfolg werden an der Erreichung von persönlichen Jahreszielen wie Umsatz, Deckungsbeiträgen und Marktanteil gemessen. Die Agilität fördert das nicht. Eher das Gegenteil wie Konkurrenzdenken, Abgrenzung und das Monopolisieren von Marktinformationen. Agile Vertriebs-Einheiten blicken auf die Straße statt in den Rückspiegel. Chancen kommen nun mal von vorn. Gleichzeitig setzen sie auf die Teamleistung. Viele Augen und Ohren nehmen Marktsignale besser wahr als nur zwei. Die Idee ist simpel und zugleich effektiv. Dies entspricht der Philosophie der OKR (Objectives and Key Results), und setzt den Zielrahmen so, dass die verbesserte Leistung der Mitarbeiter zum übergeordnetem Unternehmensziel beiträgt.
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Was sind OKR?
Als Rahmenwerk für moderne Führung verknüpfen Objectives and Key Results die Ziele der Teams und die Beiträge jedes Mitarbeiters mit der Unternehmensvision. Geprägt hat den Begriff der Intel-CEO Andy Grove. Bereits in den Siebzigerjahren entwickelte er eine Herangehensweise, die dafür sorgte, dass das Unternehmen fokussiert an seinen Zielen arbeitete. Zwei auf den ersten Blick schlichte Fragen bilden die Essenz von OKR: „Wohin wollen wir?“ und „Wie wissen wir, ob wir auf dem richtigen Weg sind?“
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„Schlicht jedoch nicht einfach!“
Schlicht bedeutet jedoch nicht einfach. Die Frage muss beantwortet werden, wie die Ziele und Schlüsselergebnisse (OKR) für das Verkaufsteam so festgelegt werden können, dass es motiviert bleibt. Das wird kaum in einem halbstündigen Meeting gelingen. Dann geht es um Organisation. Denn je besser der Vertriebs- und Servicebereich vernetzt ist und crossfunktional mit anderen Bereichen zusammenarbeitet, desto wirksamer ist die hier beschriebene Methode. Auch hier sind Geduld und Fingerspitzengefühl gefragt. Umgekehrt fördert das OKR-Framework, einmal eingeführt, den intensiven Austausch und das Verständnis über die Abteilungsgrenzen hinweg.
Wie sind OKR aufgebaut?
Objectives – Wo wollen wir hin?
Sie stehen für ein inspirierendes, qualitatives Ziel, das die Organisation in eine gewünschte Richtung bewegt. Bei der Formulierung orientiert man sich am besten an folgenden Anforderungen:
  • Beschreibung eines erwünschten Zustands
  • Fokussierung auf Kunden und Unternehmenswert
  • Qualitativ
  • 3 bis 5 Ziele pro Organisationseinheit
  • Inspirierend, ehrgeizig
  • Realisierbar in einem Zyklus (3 bis 4 Monate)
  • Abgeleitet aus Strategie und Teambedürfnissen
  • 40% Top-Down (strategisch) und 60% Bottom-Up (operativ)
Key Results – Wie wissen wir, ob wir auf dem richtigen Weg sind? Sie stehen für ein quantitatives Ergebnis, welches den Fortschritt zu Erreichung eines Objectives misst.
  • Ein Ergebnis – keine Meilensteine oder Aufgaben
  • 3 bis 5 pro Objective
  • Frühindikatoren, die beeinflusst werden können
  • Beschreibung, wie das Ziel erreicht werden soll
  • Spezifisch
  • Messbar (quantitativ)
  • Ambitioniert (70 ist das neue 100)
  • Realisierbar in einem Zyklus (3 bis 4 Monate)
Ein idealer OKR-Rahmen ist derjenige, der allen Mitarbeitern hilft, ihre Ziele mit den vom Unternehmen angesetzten Zielen für dieses Quartal in Einklang zu bringen. Transparenz also statt Peitsche. Die Unternehmenskultur sollte dabei auf dem Vertrauen der Führungskräfte gegenüber ihren Teams, und der Kollaboration der Mitarbeiter untereinander basieren.
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Wie sehen also typische OKR des Verkaufsteams aus? Hier sind zwei Beispiele in Bezug auf die Rollen in der Verkaufsabteilung.
Beispiel 1
Objective:
„Wir haben ein genaues Verständnis unserer Bestandskunden.“
Key Results:
# 1 10 Interviews mit Key Accounts geben uns tiefere Einblicke bei unseren wichtigsten Kunden
# 2 Eine Kundenumfrage mit 100 Teilnehmern zeigt uns die wichtigsten Bedürfnisse
# 3 Wir haben ein für alle zugängliches CRM-System mit Informationen über unsere Kunden
Beispiel 2
Objective:
„Wir werden der führende Anbieter von KI-Software in der DACH-Region.“
#1 Wir generieren 200 Leads pro Monat
#2 Wir erreichen eine Konversionsrate von 25 Prozent bei allen Leads
#3 Ein Follow-up mit Kunden erfolgt innerhalb von 7 Tagen nach Abschluss des Verkaufs
#4 Wir erreichen einen Marktanteil von 30%
Das OKR-Zielsetzungssystem kann gute Verkaufsteams schnell zu High Performance Teams machen. OKR regen ganze Abteilungen dazu an, auf die gleichen Prioritäten hinzuarbeiten. Gleichzeitig lassen sie Raum für individuelle Kreativität. Ein Team vereinbart gemeinsam die Ziele, die es erreichen will. Und die einzelnen Mitarbeiter entscheiden, wie sie ihre Ziele erreichen wollen, indem sie jedem Ziel eine Reihe von Schlüsselergebnissen zuweisen. Strategisch entwickelte OKR können so ein hochproduktives und zufriedenes Verkaufsteam aufbauen.
Achtung: Auf keinen Fall dürfen Boni von der OKR-Performance der Mitarbeiter abhängig gemacht werden. Damit kämen sich zwei Anreizsysteme in die Quere. Ziele würden dann nicht mehr ambitioniert gesteckt, neue, kreative Ansätze und Lösungswege möglicherweise bestraft werden.
Über den Autor

Rainer Simmoleit Dipl.-Ing.(FH), MBA, unterstützt seit mehr als 25 Jahren Unternehmen dabei, ihre Anpassungs- und Wettbewerbsfähigkeit mit konsequenter Kunden- und Nutzenorientierung zu verbessern. Als Interim Manager übernimmt er temporär Führungsfunktionen in Unternehmensleitung, Produktmanagement und Vertrieb mit dem Fokus auf Reorganisation, Turnaround und nachhaltiges Wachstum.

www.p4c-consulting.com

Über die Fachgruppe

Die DDIM.fachgruppe // Vertrieb & Marketing sieht sich als das Rückgrat der Interim Manager für Vertrieb & Marketing innerhalb der Dachgesellschaft Deutsches Interim Management e.V.. Das Expertenteam arbeitet inhaltlich an ausgewählten Fragestellungen aus Vertrieb und Marketing. In den Vertriebshygiene-Fachimpulsen werden verschiedene Blickwinkel eingenommen, die den Nutzen des Interim Managements an gezielten Einzelthemen für Vertriebsleiter aufzeigen. Unternehmer werden darüber aufgeklärt und sensibilisiert, welche Potenziale sich mit Interim Managern erschließen lassen.