Sebastian-Justus Schmidt im DDIM Interview: Unternehmerische Energieautonomie am Beispiel grüner Wasserstoff

Ein DDIM Interview mit Sebastian-Justus Schmidt, Keynote Speaker beim DDIM.kongress // 2023

Herr Schmidt, grüner Wasserstoff wurde schon vor über 20 Jahren als Lösung für die Energiewende gefeiert. Was hat sich seitdem getan?

Bei allen neuen Technologien werden zunächst Ideen skizziert und dann diese schnell als Lösungen gefeiert. Doch letztendlich müssen diese Ideen um Technologien erst von Unternehmen umgesetzt werden und führen dann zu konkreten Produkten. Im Bereich grüner Wasserstoff haben wir, zusammen mit anderen Unternehmen, konkrete Anwendungsbeispiele geschaffen und grünen Wasserstoff in verschiedenen Branchen eingeführt. Die zunehmende Akzeptanz unserer Produkte trägt u.a. dazu bei, dass diese auch kosteneffizienter werden. Dies wird in den nächsten Jahren dazu führen, dass wir eine wirkliche Wasserstoffgesellschaft etablieren können.

Beginnen wir in Deutschland und Europa: In welchen Bereichen ist die Gewinnung und Nutzung von grünem Wasserstoff schon heute etabliert?

Vollständig etabliert ist sie leider noch in keinem Bereich, aber wir arbeiten kontinuierlich daran, dorthin zu gelangen. Durch zahlreiche kleinere „First-Mover-Lösungen“ beobachten wir eine signifikante Zunahme des Verständnisses für grünen Wasserstoff. Dies trägt zur Entmystifizierung der Technologie bei, wodurch sie zunehmend greifbarer und verständlicher für die breite Bevölkerung wird. Diese Entwicklung erleichtert wiederum den Einsatz von Wasserstoff in verschiedenen neuen Projekten.

Gibt es Bereiche, von denen sie denken, dass dort in Europa bereits mehr passiert?

Ja, in Europa gibt es bereits Bereiche, in denen mehr Aktivitäten stattfinden. Ein Beispiel ist ein Kunde aus United Kingdom, der Grid Balancing betreibt. Dort wird überschüssiger Strom zwischengespeichert. Oder auch Anwendungen, wo Wasserstoff direkt genutzt wird, z.B. bei einem Kunden, der Klinkersteine in NRW herstellt oder ein Ammoniakproduzent aus den USA. Alle Kunden wollen Erfahrungen machen und planen Systemerweiterungen. Wir haben heute über 350 unterschiedlichste Kunden mit den verschiedensten Anwendungen weltweit. Unternehmen verspüren zunehmend den Druck, nach Alternativen zu suchen. Wir zeigen mit vielen Beispielen, dass ökologisch sinnvolle Lösungen in greifbare Nähe rücken und längst nicht mehr Zukunftsmusik sind.

Wo gibt es europaweit die größten Herausforderungen bei der Umstellung auf Wasserstoff?

Die größten Herausforderungen sehe ich mittlerweile bei der fehlenden Technologieoffenheit vieler politischen Akteure an die Energiewende. Es fällt auf, dass zunehmend mehr Regulierungen auftauchen und ungerechtfertigte Barrieren geschaffen werden. Historisch betrachtet hat sich keine Technologie in Zeiten politischer Barrieren erfolgreich entwickelt. Aber fairerweise muss ich sagen: Es gibt auch hier und da einen Lichtblick, der uns noch hoffen lässt.

Können Sie uns ein Beispiel für solche Barrieren nennen?

Zum Beispiel wird Wasserstoff ein zu hohes Gefahrenpotenzial zugesprochen. Dabei ist er nicht gefährlicher als der elektrische Toaster, an dem man sich theoretisch auch einen lebensgefährlichen Stromschlag zuziehen kann. Wenn wir die Elektrizität heute mit denselben Bedenken wie Wasserstoff betrachten würden, hätten wir wahrscheinlich keine Elektrizität. Ebenso könnte der Individualverkehr aufgrund von Unfallstatistiken als lebensbedrohliche, nicht akzeptable Gefahr betrachtet werden. Aber wir akzeptieren diese Risiken und gehen verantwortungsbewusst damit um. Genauso werden wir auch mit den geringen Risiken von Wasserstoff umgehen können.

In der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung sollen die Wasserstoffkapazitäten auf 10 Gigawatt ausgebaut werden. Ist das in Ihren Augen ein realistisches Ziel?

Ja, ich halte das Ziel für realistisch. Allerdings betrachte ich es eher als einen Teilschritt. Um Deutschland vollständig zu dekarbonisieren, ist ein wesentlich größerer Ausbau erforderlich. Die Bundesregierung hat zwar versucht, klare Ziele zu setzen. Was aber entscheidender ist: Bei der Energiewende von staatlichen Regulierungen wegzukommen – und Wasserstoff so kostengünstig zu machen, dass er überall eingesetzt werden kann. Dann wird der Markt von selbst dafür sorgen, dass grüner Wasserstoff in allen Bereichen unseres Energieverbrauchs zunehmend Anwendung findet.

Die Umstellung der deutschen Stahlindustrie weg von Kohle würde ca. 80 Terrawattstunden grünen Wasserstoffs benötigen. Würde sich das heute schon mit Ihren Elektrolyseuren umsetzen lassen?

Leider noch nicht mit unseren aktuellen Elektrolyseuren, allerdings wird dies mit unseren zukünftigen Technologien umsetzbar sein. Unsere derzeitigen Elektrolyseure gelten in verschiedenen Anwendungsfällen bereits als kostengünstig – und unsere Kunden sind zufrieden. Bis 2030 planen wir weitere Fortschritte in mehreren Schritten. Die weiteren Entwicklungen werden den Preis beeinflussen, was wiederum bei Anwenderseite dazu führen wird, auf eigene Initiative auf Wasserstoff zu setzten. Was dabei aber essenziell ist: Der Strompreis muss angemessen sein. Grüner Strom muss günstig werden. Ansonsten werden unsere Industrien nicht international wettbewerbsfähig sein.

Warum?

Ein Blick auf die Stahlproduktion in Indien verdeutlicht dies, wo Solarenergie mit deutlich unter 2 Cent pro Kilowattstunde verfügbar ist. Der Strompreis ist ein erheblicher Vorteil für die Herstellung von grünem Wasserstoff. Ein wesentlicher Kostenfaktor beim Wasserstoff ist die Elektrizität. Wenn der Strompreis in Deutschland zu hoch ist, ist es natürlich, dass Teile der Industrie über Standortwechsel nachdenken. Es ist ja auch eine Überlebensfrage im Wettbewerb. Das Stromnetz muss dafür in Deutschland schnell dezentral werden – und mit Zwischenspeichern ausgerüstet werden, damit die Stromkosten runterkommen.

In welchen Bereichen finden die Elektrolyseure von Enapter Anwendung? Können Sie ein Leuchtturm-Beispiel nennen?

Wir sind in unterschiedlichsten Bereichen unterwegs, von grüner Schiffsbetankung in Italien, wasserstoffbetriebene Flugzeuge im Vereinigten Königreich bis hin zu mobilen Nanogrids für die Katastrophenhilfe. Ein weitere Beispiel ist die Unternehmensgruppe ABC-Klinker aus Hörstel genannt, gar nicht so weit von Düsseldorf entfernt: Für den Ziegelhersteller haben wir einen modularen Elektrolyseur gebaut, der sich zwischen 70 kW und 480 kW konfigurieren lässt. Das innovative System zur grünen Wasserstoffproduktion soll noch in diesem Jahr in Betrieb genommen werden und so die Dekarbonisierung der Herstellungsprozesse von ABC-Klinker vorantreiben.

Ihr Unternehmen ist auch in Asien aktiv. Sind bestimmte asiatische Länder bei der Energiewende hin zu Wasserstoff weiter als Europa? Und wenn ja: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Asiatische Länder verfolgen einen anderen Ansatz als Deutschland. Insbesondere Indien und China gehen einen sehr eigenen Weg: Besonders China investiert massiv in erneuerbare Energien und hat bereits mehr erneuerbare Energiekapazitäten als Europa und die USA zusammen. Der Ausbau erneuerbarer Energien in China ist beeindruckend. Obwohl der Solarenergieanteil derzeit bei 20 Prozent liegt, wird dieser in den nächsten zwei Jahren voraussichtlich auf das Niveau Deutschlands steigen. Und ab dann wird uns China abhängen.

Auch Indien hat erkannt, dass grüner Wasserstoff ein bedeutender Schritt für zukünftiges Wachstum ist. Das Land investiert selbst massiv in eine eigene Elektrolyse-Industrie. Ähnlich wie China, verfolgt auch Indien die Strategie, die Technologien selbst zu besitzen, statt zu importieren. Das bedeutet, dass sie auch die Geräte für die Wasserstoffenergieerzeugung selbst herstellen wollen. Aus europäischer Wirtschaftsperspektive birgt das erhebliche Risiken, weil der hohe interne Bedarf dieser Volkswirtschaften und das kostenorientierte Verhalten zu sehr aggressiven Preisen führen wird. Schließlich werden die dortigen Hersteller nach Europa drängen.

Zuletzt: Können Sie uns Ihre Reise vom Geschäftsführer einer Softwarefirma zum erfolgreichen Unternehmer für grüne Energie, als CEO in Doppelspitze, kurz schildern? Was waren Ihre größten Meilensteine in den letzten 8 Jahren?

In meiner Zeit als Geschäftsführer einer Softwarefirma haben wir wegweisende Technologien in der Audio- und Videokompression entwickelt und innovative Apps geschaffen, als die meisten Menschen noch nicht einmal wussten, was eine App ist. Ich hatte das Glück, zweimal zu den Pionieren neuer Entwicklungen zu gehören und diese maßgeblich mitzugestalten. Im Jahr 2011 habe ich meine Firma verkauft und plante, mich 2013 zurückzuziehen, um in Nord-Thailand ein energieautarkes Eigenheim zu bauen. Während dieses Umbruchs bin ich auf das Thema grüner Wasserstoff gestoßen, das zu diesem Zeitpunkt am Anfang seiner Entwicklung stand. In den letzten 8 Jahren haben wir bedeutende Meilensteine mit unseren Elektrolyseuren erreicht. Ich bin CEO, aber wir haben eine Doppelspitze. Ich teile mir die Geschäftsführung. Mein CEO-Kollege, Herr Dr. Juergen Laakmann, hat mich zunächst mehrere Monate als Interim Manager unterstützt. Das hat sehr gut funktioniert und wir konnten ihn überzeugen, bei uns als CEO einzusteigen.

Wie kommt’s?

Die Entscheidung, einen erfahrenen Interim Manager an meiner Seite zu haben, wurde durch das Advisory Board empfohlen, das feststellte, dass u.a. alleiniges Führen des Unternehmens von Thailand aus möglicherweise nicht die beste Idee sei. Diese Empfehlung habe ich gerne akzeptiert – und die Zusammenarbeit hat sich als erfolgreiche Ergänzung erwiesen.

Sebastian-Justus Schmidt ist seit mehr als 30 Jahren erfolgreich in der Softwareentwicklung tätig. 1999 hat er die SPB Software, eines der weltweit innovativsten und erfolgreichsten Unternehmen für mobile Software, als CEO mitgegründet. Ab 2011 war Sebastian als EVP und GM Mobile für Yandex tätig. Als Sebastian sein Familienhaus in Thailand baute, erkannte er die Möglichkeiten von modularen Elektrolyseuren und arbeitet sich intensiv in die Wasserstofftechnologie ein. Er gründete Enapter, um grüne Energiesysteme zu bauen, bei denen mittelfristig ein finanzieller Vorteil gegenüber der Nutzung von fossilen Brennstoffen besteht. Sebastian ist sich sicher, das zukunftsgerichtete Unternehmen eine anwendungsbezogene, effektive Forschung und Entwicklung mit intensiver Softwareunterstützung als Fundament benötigen.