Restrukturierung in Corona-Zeiten – Cost Cutting alleine wird nicht reichen…
Ein Beitrag von Interim Manager Andreas Warner und der Deloitte GmbH
Ein Großteil unserer Wirtschaft befindet sich seit März 2020 – mit kurzen Unterbrechungen – im Ausnahmezustand. Drei lange Lockdowns haben Reserven in Bilanz und Liquidität aufgezehrt. Zahlreiche Unternehmen konnten nur durch die schnelle und konsequente Inanspruchnahme von staatlichen Überbrückungshilfen und -krediten sowie Kurzarbeitergeld und Förderprogrammen überleben.
Dieser Weg war für viele Unternehmen schlicht alternativlos, aber wie geht es nun weiter?
Langsam zeigt sich ein kleines Licht am Ende des Tunnels. Restaurants, öffentliche Einrichtungen, Fitnessstudios usw. öffnen in Abhängigkeit von den regionalen Inzidenzen mit Restriktionen ihre Pforten. Es werden auch wieder Reisen gebucht. Ist damit das Schlimmste überstanden? Können wir nahtlos an die Zeit vor Corona anknüpfen? Die Antwortet lautet: Nein!
Bereits vor Corona war die Konjunktur in zahlreichen Branchen abgekühlt. Überlagert wurde dieser Prozess von strukturellen Transformationen u. a. in der Automobilbranche, im Handel oder auch im Finanzwesen, teilweise ausgelöst durch die Digitalisierung von Geschäftsmodellen.
Die Pandemie hat diese Veränderungsprozesse beschleunigt: In der Automobilbranche findet der Wandel zur Elektromobilität mit deutlich erhöhter Geschwindigkeit statt; im Einzelhandel wechselten viele Kunden zwangsläufig zu Online-Bestellungen, und es ist offen, wie viele nach der Krise wieder in die Innenstädte zurückkommen werden. Auch im Finanzwesen werden viele temporär geschlossene Bankfilialen nicht mehr öffnen.
Die Pandemie hat viele Geschäftsmodelle auf den Kopf gestellt
Die aktuelle Krise wirkt aber nicht nur als Katalysator für diese bereits laufenden strukturellen Transformationsprozesse. Corona hat zudem auch Geschäftsmodelle auf den Kopf gestellt, die bisher stabil und zukunftsgerichtet ausgerichtet waren. So mussten Unternehmen aus der Reise- und Touristikbranche einen Nachfragerückgang von über 80 Prozent verkraften. Während bereits jetzt offenkundig ist, dass sich der Tourismus relativ zügig erholen wird, ist dies für Unternehmen, die von Geschäftsreisen abhängen, unsicher. Indirekt sind hierdurch ganze Branchen betroffen, wie z. B. ein Großteil der Unternehmen der Luftfahrtindustrie.
Eine erfolgreiche Restrukturierung betroffener Unternehmen wird daher mehr als das „klassische“ Rüstzeug erfordern. Reines „Cost Cutting“ und Liquiditätsmaßnahmen zu Beginn eines Projektes sind zwar kurzfristig sicherlich nötig, werden aber oft nicht ausreichen, um den mittel- und langfristigen Erfolg einer Restrukturierung abzusichern.
Neue Chancen durch veränderte Kundenbedürfnisse?
Der alte Leitspruch „Structure follows strategy“ ist daher in der anstehenden Restrukturierungswelle entscheidend. In einem strukturierten Strategieprozess müssen die veränderten Bedürfnisse der Kunden analysiert werden. Die eigenen Produkte sind dahingehend kritisch zu hinterfragen, ob sie die Kundenanforderungen auch weiterhin erfüllen. In der Folge muss das eigene Geschäftsmodell reflektiert und gegebenenfalls angepasst werden. Hierbei müssen möglicherweise bereits erfolgte Neupositionierungen des Wettbewerbs einfließen. Dieser strukturierte Ansatz stellt sicher, dass auch Potentiale in bisher nicht bedienten Segmenten systematisch entwickelt und neue Chancen genutzt werden können.
Erst danach sollte die Strategie operationalisiert und in Struktur- und Prozessanpassungen übersetzt werden. Zahlreiche bekannte Aspekte sind hier zu berücksichtigen, wie die Anpassung von Personalstrukturen und Produktportfolien. Möglicherweise müssen auch ganze Geschäftsbereiche abgetrennt und veräußert werden.
Kredite müssen nun zurückgezahlt werden
Die Krise hat zudem für viele Unternehmen ihre eigene Verwundbarkeit zu Tage treten lassen. Das Thema Resilienz ist also sehr prominent auf der Tagesordnung und wird sich in Maßnahmen wie einer möglichen Anpassung und Lokalisierung von Lieferketten, einer flexibleren Organisation von Cash Pools und einer pandemiesicheren Gestaltung von Arbeitsplätzen niederschlagen.
Eine weitere Herausforderung ist die „Verkürzung“ der Bilanzen. Zahlreiche Unternehmen haben die staatlichen KfW-Kredite in Anspruch genommen bzw. sich auf anderem Wege die notwendige Liquidität beschafft. Diese muss nun auf Sicht zurückgezahlt bzw. refinanziert werden. Man darf hier gespannt sein, wie wirksam das neue StaRUG in der Praxis ist und wie häufig es zum Einsatz kommt.
Eine erfolgreiche Restrukturierung in Corona-Zeiten erfordert damit ein breites Kompetenzspektrum. Unternehmen, die einer grundsätzlichen strategischen Reflektion offen gegenüberstehen und sich notwendigen Veränderungen nicht verschließen, haben dabei eine große Chance, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Der Autor
Andreas Warner leitet den Bereich Restructuring Services in Deutschland und den Bereich Value Creation Services in EMEA. Er verfügt über langjährige Restrukturierungserfahrung und ist Spezialist für operative Restrukturierungen (Maßnahmenerstellung und Umsetzung im Bereich Kostensenkung- bzw. Liquiditätssteigerung, u. a. in Vertrieb, Produktion, Einkauf, Logistik). Vor seiner Beratungskarriere war er 10 Jahre als Geschäftsführer in Konzern und Mittelstand tätig.
Andreas Warner. Partner | Service Line Restructuring. Deloitte GmbH. Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Rosenheimer Platz 4, 81669 München, Deutschland. Phone: +49 89 29036 8022 | anwarner@deloitte.de | www.deloitte.com/de