Brennpunkt Lebensmittelsicherheit
Krise in der Nahrungsmittelindustrie
von Ulrich Späing
Ulrich Späing war elf Jahre im Management der Nahrungsmittelindustrie: Finanz- und Rechnungswesen, Vertrieb und Markenführung. Seit 2010 ist er DDIM-Mitglied und seit 1986 als Interim Manager tätig. Mit Engagement ist er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der United Labels AG. Von der Deutschen Börse AG hat er sich als Fachaufsichtsrat für den Prüfungsausschuss zertifizieren lassen [www.spaeing.biz].
Krisen zu managen und in der Krise zu kommunizieren, hat in der Foodbranche einen sehr hohen Stellenwert, was dazu führt, dass eine hohe Professionalität von den Handelnden gefragt ist. Damit ist schlaglichtartig die Notwendigkeit umrissen, eine Krise am besten zu vermeiden. Hinzu kommt, dass Foodthemen „extrem medien-bespielte Themen“ sind, dies beschleunigt die Krisendynamik enorm. Hieraus lassen sich sehr gut ethische Initiativen erklären, wie z.B Tierwohl oder Foodwatch, die durchaus Marken prägen. In der Folge erwachsen hieraus u.a. die Health Claim Verordnung genauso, wie immer neue Trends. Nicht zu vergessen: gesamtwirtschaftlich ist der Zweig Nahrungsmittel die drittgrößte Branche in der deutschen Wirtschaft.
Aus all dem resultiert ein hohes öffentliches Interesse an der Nahrungsmitteindustrie.
Woran liegt es, dass Verbraucher und Institutionen Nahrungsmittelerzeuger argwöhnischer beobachten, als Produzenten anderer Branchen?
Das Produkt Nahrungsmittel wird gegessen und ist in der Folge Teil unseres Körpers. Um es plastisch zu machen: Die wenigsten Produkte unserer Industriegesellschaft nehmen wir – so wie Nahrungsmittel – in unseren Körper auf. Das ist die Alleinstellung von Essen – und das ist nicht ohne Risiko. Weil unsere Gesundheit davon abhängt. Aus Gründen der Anschaulichkeit vergleichen wir wieder mit anderen Produktionsbereichen: Die wenigsten Produkte unserer Wirtschaft müssen etwas zu unserer Gesundheit beitragen. An Nahrungsmittel haben wir aber zu Recht einen hohen Anspruch: Sie sollen ein kleines Wunder vollbringen. Sie sollen Quelle sein für Gesundheit und für unsere Entwicklung. Ohne Gesundheitswert sind Nahrungsmittel keine Nahrungsmittel, sondern Ersatzstoffe oder Gifte. Ohne Ernährung hingegen folgt Stillstand und Tod. Zu Unrecht zweifeln geneigte Leser daran, eine Lebensmittelvergiftung könne tödlich enden. Es passiert glücklicherweise nicht allzu häufig, es ist aber durchaus möglich, daran zu sterben. Vor allem Listerien-Befall kann für Kleinkinder und ältere Menschen lebensbedrohlich werden. Diese stecken zum Beispiel in rohem Fleisch und Fisch, rohen Eiern, Rohmilch und Rohkäse. Auch Erreger wie Salmonellen oder Campylobacter können Krämpfe, Durchfall, Erbrechen oder hohes Fieber auslösen.
Schlussendlich nicht zu vergessen: Nahrungsmittel wollen genossen werden. Was uns nicht schmeckt, rühren wir nicht an. Nahrungsmittelkäufe haben einen extrem hohen emotionalen und/oder Gesundheitsfaktor. Aus dem Anspruch an Genuss folgt eine hohe Sensibilität für – kritische – Foodthemen.
LEBENSMITTELSICHERHEIT
Vorsorgen: Prävention
„Katastrophen und Krisen können jederzeit und überall eintreten. Deshalb sollte man sich darauf vorbereiten“. (Professor Matthias Hollik, Technischen Hochschule Darmstadt, September 2017, in einer groß angelegten Krisenübung. Er denkt dabei zum Beispiel an die kommunikative Vorbereitung.)
In Krisensituationen ist es in der Regel zu spät. Ohne Training und Vorbereitung sehen sich Entscheidungsträger schnell mit unlösbar komplexen Sachverhaltskonstellationen konfrontiert. Im Rahmen der Risikoanalyse sind sie – nur mit entsprechender Übung – in kurzer Zeit zu bewältigen. Gefragt ist Erfahrung dazu im objektiven und transparenten Risikobewerten: „Inwiefern handelt es sich überhaupt (wann) um eine Krise? Dazu gehört, darauf aufsetzend, ein angemessenes Maßnahmentraining. Fehleinschätzungen können dabei unerwünschtes Medieninteresse nach sich ziehen. Fehleinschätzungen können Unternehmensziele gefährden und zu existenziellen Unternehmenskrisen führen.
Krise definieren: gehört zur Vorsorge
In der Lebensmittelbranche bezeichnet eine Krise den Umstand und Vorgang, der dazu führen kann, dass ein Unternehmen und seine Marken in seiner Existenz gefährdet sind beziehungsweise dass ein Produkt eine Gesundheitsgefährdung für den Verbraucher darstellt. Darunter wird jedes Ereignis und jede Meldung mit Krisenpotential verstanden, welche
- die Gesundheit des Verbrauchers,
- das Image des Unternehmens, seiner Marken, der Branche oder der Eigner,
- die Sicherheit von Personen und Gütern schädigen kann.
Dabei gelten als erschwerende Faktoren von Krise der Umgang mit kritischen Anspruchsgruppen, wie Medien und NGOs. Entlang ihrer Ursachen lassen sich Krisen recht praktisch zum Beispiel folgendermaßen kategorisieren:
Produktkrise
- Kontaminieren, Gesundheit gefährden
- Erregen von Ekel
- Behörden beanstanden
Betrieblicher Notfall
- Schwerster Unfall
- Stromausfall
- Brand, Explosion
- Einbruch, Vandalismus
- IT-Ausfall
Reputationskrise
- Presse- oder NGO-Anfragen
- Produkt-Testurteile
- „Shitstorms“
Erscheinen von Durchsuchungsbehörden
- Kartellrechtsuntersuchung
- Zollkontrolle
- Steuer-Behörden
Produkt- und Prozesssabotage
- Erpressung
- Bedrohung
- Betrug
Krise managen: Überwachen der Prozesse entlang der gesamten Supply Chain
Erst ein alle Prozesse umfassendes Krisenmanagement reduziert besondere Risiken: Erst eine die gesamte Prozesskette umfassende und belastbare Krisenstruktur ermöglicht den Nachweis, dass der betroffene Lebensmittelunternehmer Vorkehrungen getroffen hat, um den geltenden, rechtlichen Anforderungen nachzukommen. Dadurch kann beispielsweise dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens oder einer Verletzung der Unterrichtungspflicht der Behörden entgegengetreten werden. Effizientem Krisenmanagement kommt in Zeiten sensibler Medienberichterstattung besondere Bedeutung zu. Listerien in Wurstwaren zum Beispiel, Fremdkörper in Schokoriegeln oder Fipronil in Eiern gilt es in jedem Falle zu vermeiden; auch Ethoxyquin oder Nematoden will keiner.
Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit reicht Gott sei Dank so weit, dass schwarze Schafe der Branche sich gegen rufschädigende Äußerungen zur Wehr setzten müssen. Geschäftsschädigend können sowohl zutreffende Tatsachenbehauptungen wirken, als auch Unrichtige. Nicht immer glücklich ist, sich reinen Werturteilen und nicht etwa Tatsachenbehauptungen gegenüber zu stehen. Sollte es sich lediglich um Werturteile handeln, hätte eine Abmahnung mit der Aufforderung zur Unterlassung oder ein Antrag auf eine Einstweilige Verfügung kaum eine Chance. Dafür müsste die Grenze zur stets unzulässigen Schmähkritik überschritten sein.
Ziel muss immer sein, einen Rechtsstreit nur in dem Maße anzustreben, wie damit der Fortbestand des Unternehmens gesichert wird. Aber auch andere, unternehmensexterne Einflüsse, etwa aus dem Wettbewerbsumfeld, erfordern belastbare Krisenstrukturen.
Verantworten: Vorsorgen
Die übergeordneten Organe des Krisenmanagements sind immer Geschäftsleitung oder Vorstand. Insofern entbinden Krisenstäbe nicht von der Verantwortung. So sind es zwingend GF und Vorstände, die Krisenstäbe einzuberufen und zu leiten haben. Sie sind die primär Verantwortlichen und damit die Entscheider im Krisen- und Rückrufmanagement.
Im Umkehrschluss eröffnen Zahlen der Studie „Risiko- und Krisenmanagement 2015“, durchgeführt von der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE) und der AFC Risk Crisis Consult (AFC), wieweit die Verantwortlichen der Lebensmittelhersteller ihrer Verantwortung auch nachkommen. (Strecker, Otto A.. Elles, Anselm. Lendle, Michael. Küsters, Thomas: Chancen und Risiken für die Food Value Chain, im Eigenverlag, oh. J.)
So wurde hier als Hauptmaßnahmen entlang der Lieferkette genannt:
Aber auch Maßnahmen wie zum Beispiel ein regelmäßiges Risiko-Monitoring sowie eine Sensibilisieren und das Schulen der Lieferanten über bestehende Risikothemen werden von einer geringeren Zahl befragter Unternehmen umgesetzt. Sie werden damit den steigenden Anforderungen gerecht und sichern sich entlang der Supply Chain ab. Die AFC-Daten geben dazu allen Grund. Unternehmen werden sich zukünftig vor allem mit folgenden eventuellen Risiken (anteilig) konfrontiert sehen:
In den Katalog zeitgemäßen und verantwortlichen Krisenmanagements gehören dem zur Folge (nach Umsetzungshäufigkeit):
Zeitgemäße These am Schluß
„Gerüchte lassen sich nie ganz kontrollieren“: Issue, Spin Doctoring, Fazit, Ausblick
Gerüchte lassen sich nie komplett kontrollieren. Aber es gibt Strategien und Maßnahmen für den Fall, dass ein Gerücht bereits im Umlauf ist und sich in Eigendynamik verselbstständigt hat. Wie in anderen Krisenfällen auch, existiert keine allgemein gültige Systematik nach Schema F. Jede Gerüchtesituation und die damit verbundenen, unten beispielhaft genannten Handlungsalternativen bedürfen einer gründlichen Abwägung der Chancen und Risiken.
1. Die Dementierungskampagne:
Dementis können Gerüchte entkräften. Durch ein Dementi wird ein Gerücht aber unter Umständen erst richtig breitgetreten, so dass es auch diejenigen erreicht, die es vorher noch nicht kannten. Dann bewirkt das Dementi schlimmstenfalls eine verneinende Bestätigung des Sachverhaltes, der bisher nur ein Gerücht war.
2. Rechtliche Mittel
Erfolg rechtlicher Mittel setzt voraus, Urheber oder Verbreiter, Personen, Medien sowie die schädlichen Folgen des Gerüchts benennen zu können. Nur dann kann der Tatbestand der üblen Nachrede § 186 StGB und der vorsätzlichen Verleumdung § 187 StGB erfüllt sein.
3. Nichtreaktion
Das Aussitzen ist im Allgemeinen ein durchaus probates Mittel, ein Gerücht zum Verstummen zu bringen. Schließlich ist das beständige Weitertragen das Lebenselixier des Gerüchts. Wer diese Variante wählt, setzt auf die Selbstlöseautomatik einer Krise. Hier gilt vorher zu prüfen: Wer aussitzen will, muss auch aushalten können.
4. Spin-doctoring und Issue Management
In US-amerikanischen Wahlkämpfen bewährt, versucht diese öffentliche Meinungsbildung, das Gerücht mit immer neuem Gesprächsstoff anzureichern. Ziel ist, den Turn-Around zu einem positiven Inhalt zu schaffen. Falls dies nicht gelingt, wäre ein Etappenziel zumindest erreicht, wenn die Verwirrung wuchs: Wenn keiner mehr so recht weiß, was wahr und unwahr ist. In den wenigsten Fällen ist auf diesem Wege ein Preis für die neue journalistische Aufrichtigkeit zu gewinnen. Wie bei der Stigmatisierung ist Vorsicht geboten wegen der Nähe zur zu Methoden der Propaganda- und Agitationsforschung.
5. Gerade im Internet brodelt die Gerüchteküche
Gegenüber erwartbaren, offiziellen, Meldungen genießen Gerüchte Exklusivität („Hast Du schon gehört?“). Sie können eine erhebliche Bedrohung für das Ansehen eines Unternehmens darstellen. Gerüchte gehören zu den betrieblichen Risiken. Durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich KonTraG, das ein Risikomanagement vorschreibt, müsste das „Risiko Gerüchte“ eigentlich erfasst werden. Ein Frühwarnsystem und ein Vorbereiten auf solche Gerüchte ist in vielen Unternehmen (noch?) nicht vorhanden. Für Gerüchte, für das Krisenmanagement überhaupt, gilt in den meisten Unternehmen die nüchterne Bestandsaufnahme „Noch nicht viel ist erreicht – vieles bleibt zu tun.