Der Link zwischen Working Capital und Profitabilität | Wie traditionelle Lean-Methoden den Unternehmenswert steigern

Ein Beitrag von Dr. Philipp Kinzler und Magdalena von Grotthuss // Deloitte GmbH

Working Capital-Optimierungen als Hebel für die Steigerung von Profitabilität

Das Zinsniveau ist seit Jahren auf einem historisch niedrigen Niveau. Die Ausschöpfung von Potenzialen zur Innenfinanzierung z. B. für Investitionen und/oder Wachstumsprojekte ist hierdurch in vielen Fällen in den Hintergrund geraten. Gleichzeitig macht eine historische Betrachtung der Umsatz- und EBIT-Entwicklung deutlich, dass sich das erzielte Umsatzwachstum nicht in den EBIT-Margen niederschlägt.

Abb. 1

Nach der einstweiligen Überwindung der COVID-19 Krise verpasst die deutsche Wirtschaft die prognostizierten Aufholeffekte. Insbesondere eine nachhaltige Störung der Lieferketten, eine drastische Erhöhung der Energiepreise sowie Engpässe in der Chipindustrie machen zahlreichen Branchen zu schaffen. Eine engere Fokussierung auf Instrumente der Innenfinanzierung und Steuerung der Profitabilität kann nun erfolgsentscheidend oder sogar überlebenswichtig sein. In Ertrags- und Liquiditätskrisen gilt der Leitsatz: „Geschwindigkeit vor Perfektion“. Vor diesem Hintergrund wird oftmals der Bereich der Prozessoptimierung als kurzfristiges Instrument zur Ergebnisverbesserung außer Acht gelassen. Dabei generieren Unternehmen in der Regel schnell positive Resultate, indem sie Prozesse auf „Herz und Nieren“ prüfen und optimieren. Hierbei können sie sich sowohl an bewährten “Best Practices” orientieren als auch moderne datengetrieben Methoden und Technologien anwenden. Diese ermöglichen die schnelle Schaffung von Transparenz, eine agile und schnelle Entscheidungsfindung sowie eine schnelle Umsetzung erforderlicher Maßnahmen.

Abb. 2

Unsere Erfahrungen zeigen, dass viele Unternehmen eine Optimierung der bestandsrelevanten Prozesse und ein damit verbundenes aktives und professionelles Bestandsmanagement nicht als operativen Vorteil ansehen. Dies zeigt sich auch in der Tatsache, dass unter den wichtigsten Management-KPIs Bestandskennzahlen nur selten zu finden sind, obwohl sich Prozesseffizienz, Profitabilität und Unternehmenswert auch über diese Kennzahlen direkt oder indirekt messen oder steuern lassen. Dieses Bild zeigt sich auch in der Entwicklung der days inventory outstanding (DIO) über den betrachteten Zeitraum: Bestände sind über den Zeitverlauf angestiegen.

Das Tor zu Profitabilität: Zugrundeliegende Prozesse mit klassischen Lean-Methoden angreifen

In der Lean-Philosophie ist der Punkt „hohe Bestände“ der wesentlichste unter den Verschwendungsarten. Hohe Bestände verdecken oftmals Probleme in den zugrundeliegenden Prozessen, wie z. B. Defekte, lange Rüstzeiten, hohe Stillstandzeiten der Maschinen, erhöhter Aufwand für Inventur und lange Suchzeiten. Sie sind demnach auch ein Zeichen für schlechte Planungsprozesse und mangelhafte Transparenz sowie ggf. Ursache für vermeidbare Kosten.

“ ’Inventory hides all sins’ – dieses Zitat aus der Lean-Philisophie zeigt den Link zwischen Beständen und Profitabilität und wird in Zukunft vermehrt an Bedeutung gewinnen”

Claudio Mager, Director | Financial Advisory, Turnaround & Restructuring.

Die Kennzahl DIO wird häufig in Verbindung mit Liquidität betrachtet. Der Zusammenhang mit Profitabilität ist nicht immer offensichtlich. Deloitte hat in einer nicht repräsentativen Studie anhand beispielhafter Unternahmen die Beziehung zwischen der Bestandsentwicklung und fünf relevanten GuV-Positionen betrachtet. Die Daten basieren auf zwei Unternehmen aus der Konsumgüter- und Industriebranche in Deutschland und wurden über einen Zeitraum von drei bis zehn Jahren analysiert. Zudem wurde die wissenschaftliche Methode der Triangulation angewendet, um die Validität der Ergebnisse zu stärken. Daher wurden repräsentative Experteninterviews mit Mitarbeitern in Führungspositionen im Bereich der Finanzen und Operations durchgeführt.

Folgende Ergebnisse lassen sich aus der Analyse der fünf Felder zusammenfassen:

  • Produktivität: Durch eine Reduktion der Bestände werden Probleme aufgedeckt und transparent. Eine fundierte Bestandsreduktion stabilisiert Prozesse, eliminiert Ineffizienzen und erhöht die Produktivität. Das Ausmaß dieses Effekts ist vielen nicht bewusst. Mitarbeiter nehmen häufig an, dass ein Prozess eine bestimmte Zeit in Anspruch nimmt, hinterfragen dies nicht und vergessen daher den signifikanten Einfluss von versteckter Produktivität.
  • Personalkosten: Anfangs werden durch eine Bestandsreduktion Mehraufwand und Überstunden reduziert, da weniger Bestände bewegt werden müssen. Dieser Effekt kumuliert sich dann in der Möglichkeit, ganze Arbeitspakete zu reduzieren und Produktivitätsreserven in den betroffenen Funktionen zu realisieren. Betroffen sind hier sowohl direktes Personal in der Versorgungskette als auch indirektes Personal, das z. B. in der Planung involviert ist.
  • Materialkosten: Ausschuss und Nacharbeit reduzieren sich durch geringeren Materialtransport. Zusätzlich werden Fehler schneller entdeckt. Sollten Materialien obsolet werden, so führt dies zu Wertminderungen. Ein besserer Überblick und Transparenz reduzieren das Risiko der Obsoleszenz deutlich.
  • Transportkosten: Ein niedrigeres Bestandsniveau zeigt sich ebenfalls in geringeren Transport- und Frachtkosten. Zudem können Kosten für zusätzlichen Lagerplatz reduziert werden. Hier lässt sich ebenfalls oftmals ein Zusammenhang mit den Materialkosten herstellen – Platzmangel führt ebenfalls zu erhöhtem Ausschuss und Nacharbeit.
  • Kapitalkosten: Durch eine Bestandsreduktion setzen Unternehmen Kapital frei, welches für Innovation und Investitionen genutzt werden kann. Und sie reduzieren zugleich ihre Finanzierungskosten, die in Krisensituationen oftmals deutlich erhöht sind. Somit hat das Unternehmen mehr Liquidität zur Hand, um Zahlungen früher zu tätigen und damit Preisnachlässe zu realisieren. Gerade im Hinblick auf einen wirtschaftlichen Abschwung und ggf. damit verbundenen Planverfehlungen spielen “Financial Covenants” eine bedeutende Rolle. Ein stringentes Liquiditätsmanagement kann das Risiko von Covenant-Brüchen verringern.

Heutzutage sind kombinierte Ansätze am vielversprechendsten: KI-unterstützte Datenanalysen – Implementierung durch operative Experten

Um die oben genannten Herausforderungen in Angriff zu nehmen, kann mit pragmatischen Werkzeugen und Methoden eine effektive und effiziente Lösung generiert werden. Üblicherweise schaffen heutzutage KI-unterstützte Datenanalysen eine belastbare Datengrundlage sowie die Verknüpfung von operativen und finanziellen KPIs. Hierdurch wird eine „Bottom-up“-Identifikation von entsprechenden Maßnahmen in kurzer Zeit realisiert. Für die operative Umsetzung wird jedoch eine hohe Kenntnis der Lean-Prinzipien vorausgesetzt, die entsprechender Experten bedarf. Eine Verzahnung ist daher nur durch interdisziplinäre Teams möglich, um effektive Maßnahmen effizient zu definieren und zu implementieren.

Quick-Wins können so von Tag 1 an realisiert werden und stellen die Basis für nachhaltiges und erfolgreiches Wachstum dar. Historische Entwicklungen sollten nicht gerechtfertigt oder als Ausreden genutzt werden, sondern vielmehr durch neue Impulse infrage gestellt und herausgefordert werden – idealerweise durch einen Außenstehenden, der sowohl operatives und finanzielles Know-how als auch die relevanten Tools mit sich bringt.

Abb. 1 + 2 / Quelle: Datenbasis für die Berechnung der DIOs, Umsätze, EBIT and EBIT-Marge sind Unternehmen des STOXX600, exkl. folgender Branchen: Financials, Öl & Gas, Personal & Waren, Immobilien, Telecommunikation, Reisen & Freizeit, sowie einzelne Unternehmen für die nicht alle Daten für den gesamten Zeitraum zur Verfügung standen; EZB Leitzins (europa.eu)

Dr. Philipp Kinzler verantwortet als Partner die Deloitte Services im Bereich Operative Restrukturierung sowie Value Creation / Performance Improvement. Seit inzwischen mehr als 20 Jahren berät er Kunden unterschiedlicher Größe mit Schwerpunkt auf Transformationsprojekten mit leistungswirtschaftlichem Hebel. Nach der Konzepterstellung werden die Potenziale häufig gemeinsam mit dem Kunden in die Tat umgesetzt. Philipp Kinzler koordiniert auf europäischer Ebene die Restrukturierungsaktivitäten von Deloitte im Bereich Automotive (OEM und Supplier).

Magdalena von Grotthuss ist Consultant im Bereich der operativen Restrukturierung am Standort München und verfügt über Erfahrungen im Bereich Operational Excellence, Performance Management und Improvement sowie Controlling. Die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit liegen in der Datenanalyse, insbesondere im Bereich Working Capital und SG&A, sowie der Implementierung entsprechender Maßnahmen.