Cockpit statt Konferenztisch: „Piloten können nicht rechts ranfahren!“
Ein DDIM Interview mit Philip Keil, Keynote Speaker beim DDIM.kongress // 2025
Philip Keil, Pilot und Keynote Speaker beim DDIM.kongress // 2025, zeigt im Interview eindrucksvoll, wie Prinzipien der Luftfahrt auf moderne Unternehmensführung übertragbar sind. Ob Vertrauen im Team, Fehlerkultur oder Krisenmanagement – Keil liefert präzise Impulse für Leadership jenseits von Hierarchie und Autopilot.
Herr Keil, können Sie sich noch an Ihren allerersten Flug als Pilot erinnern? Was haben Sie damals gefühlt?
Das war ein Moment, den ich nie vergessen werde: mein allererster Flug überhaupt und gleich mit 200 Passagieren an Bord. Während die Gäste einsteigen, dreht sich der Kapitän zu mir und sagt: „Du fliegst heute die Maschine.“ Entsprechend hart fiel die Landung aus. Die Flugbegleiterin kommentierte trocken: „Hart, aber herzlich begrüßen wir Sie in …“ Als wir die Triebwerke abschalteten, sagte der Kapitän ruhig: „Man lernt fliegen nur durchs Fliegen.“ Diese Worte haben sich tief eingeprägt.
In dieser Anfangszeit habe ich mehr gelernt als in vielen Jahren danach – weil ich gezwungen war, über meine Grenzen hinauszugehen. Solche Momente außerhalb der Komfortzone lassen uns wachsen. Und dieser Flug war für mich auch ein starkes Zeichen von Vertrauen: Der Kapitän hat mir das Steuer übergeben, weil ich mir diesen Platz durch harte Arbeit verdient hatte.
Im Cockpit hängt viel vom Vertrauen im Team ab: Copilot, Tower, Technik. Wie baut man dieses Vertrauen auf, wenn Hierarchien und Verantwortung zugleich klar verteilt bleiben müssen?
Vertrauen im Cockpit entsteht auf zwei Ebenen: fachlich und menschlich. Fachlich geben uns klare Standards, Checklisten und Abläufe einen gemeinsamen Rahmen, in dem jeder Pilot dieselben hohen Sicherheitsmaßstäbe erfüllt – das schafft sofort Vertrauen in die Kompetenz des anderen. Das Zwischenmenschliche entwickelt sich dagegen erst im täglichen Miteinander. Wir trainieren von Beginn an, offen zu kommunizieren, Verantwortung zu teilen und wirklich als Team zu agieren. Ein Patentrezept gibt es nicht, aber wir lernen sehr früh: Echtes Vertrauen entsteht nur, wenn man gemeinsam handelt und sich aufeinander verlassen kann.
Piloten trainieren, in Stresssituationen den Überblick zu behalten. Wie lässt sich dieser mentale Fokus auf Führung und strategische Unternehmensentscheidungen übertragen?
Ich bin überzeugt, dass sich viel aus der Luftfahrt auf Führung übertragen lässt. Wir Piloten trainieren regelmäßig die schlimmsten denkbaren Notfälle im Simulator und genau das sollten Unternehmen ebenfalls tun. Führungsteams sollten sich bewusst Zeit nehmen, Krisenszenarien durchzugehen und klare Strategien zu entwickeln. Denn wer im Alltag schon am Limit arbeitet, hat im Ernstfall keine Kraft mehr, um ruhig und klar zu entscheiden. Mentale Stärke entsteht nicht in der Krise, sondern in der Vorbereitung, genau wie im Cockpit.
Was unterscheidet gutes Leadership über den Wolken von Leadership im Vorstandszimmer?
Piloten können nicht rechts ranfahren. Egal, was passiert: Wir müssen jede Situation annehmen, wie sie ist, Verantwortung übernehmen und handeln. Wer im Cockpit zögert, gefährdet Menschenleben. Deshalb sage ich: Eine Fehlentscheidung ist immer besser als gar keine Entscheidung. Fehler kann man korrigieren, daraus kann man lernen, aber Nichtstun ist keine Option.
Gutes Leadership bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und als Team zu funktionieren. Das gilt über den Wolken genauso wie im Vorstandszimmer. Am Ende geht es überall um dieselben Prinzipien: Teamfähigkeit, klare Kommunikation und die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen. Genau diese Parallelen möchte ich in meinen Vorträgen sichtbar machen, um den Blick zu öffnen für das, was gute Führung wirklich ausmacht.
Warum fällt es Unternehmen oftmals schwer, offen über Fehler zu sprechen und was können sie sich konkret von der Luftfahrt abschauen?
Niemand spricht gern über Fehler, das ist in Unternehmen nicht anders als im Cockpit. Der entscheidende Unterschied: In der Luftfahrt können wir nicht wegsehen. Wir müssen aus Fehlern lernen, weil es um Menschenleben geht. Deshalb gibt es bei uns seit langem eine echte No-Blame-Culture, in der nicht der Fehler bestraft wird, sondern das Vertuschen. Piloten können Vorfälle sogar anonym melden und teilen, was passiert ist und welche Lehren sie daraus gezogen haben.
Genau das können sich Unternehmen abschauen: Fehler nicht als Schwäche begreifen, sondern als Chance zur Weiterentwicklung. Eine Kultur der Angst führt nur dazu, dass Entscheidungen ausbleiben oder Probleme vertuscht werden. Offenheit entsteht durch Vertrauen. Und wenn dieses Vertrauen vorhanden ist, fällt es deutlich leichter, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam aus Fehlern zu lernen.
Welche Rituale oder Denkmuster helfen Ihnen persönlich, sich auf das Unvorhersehbare vorzubereiten?
Wir Piloten werden im Simulator gezielt auf das Unvorhersehbare vorbereitet. Dort geht es nicht darum, Abläufe auswendig zu können, sondern in Situationen zu reagieren, für die es keine Checkliste gibt. So trainieren wir, auch außerhalb der Komfortzone klar zu bleiben und Entscheidungen zu treffen. Das ist wie ein Muskel: Mit der Zeit verliert man die Angst vor dem Unbekannten, weil es Teil der Routine wird. Und genau das ist eine meiner wichtigsten Botschaften: Weder im Cockpit noch im Leben läuft alles nach Plan. Viele glauben, da oben sei alles perfekt organisiert. Ist es aber nicht. Entscheidend ist nicht, ob etwas Unerwartetes passiert, sondern wie wir darauf reagieren. Und genau diese Fähigkeit lässt sich trainieren: im Simulator, im Unternehmen und im Leben.
Wie verändern sich Hierarchien und Kommunikation, wenn es im Cockpit wirklich kritisch wird? Und was verrät uns das über funktionierende Führung in Krisenmomenten?
In der Luftfahrt bleibt die Kommunikation immer gleich, ob Routine oder Notfall: klar, ruhig und präzise, mit dem Fokus auf das, was jetzt wirklich zählt. Wir nennen das „Ahead of the Airplane, gedanklich also immer einen Schritt voraus zu sein. Dieser Vorsprung hält uns in kritischen Momenten handlungsfähig. Deshalb gibt ein guter Kapitän bei einem anspruchsvollen Anflug bewusst das Steuer an den Copiloten ab, um den Überblick zu behalten und Kapazitäten für strategische Entscheidungen freizumachen.
Das zeigt, was gute Führung in Krisen ausmacht: Kontrolle abzugeben, um Führung zu stärken. Im Cockpit führt derjenige, der gerade „Pilot Flying“ ist, unabhängig vom Rang. Entscheidend ist nicht die Hierarchie, sondern eine offene Kommunikation. Viele Unfälle sind passiert, weil jemand sich nicht traute, eine Entscheidung infrage zu stellen. Wirklich gute Führung schafft Raum für Widerspruch und setzt auf Vertrauen statt Autorität.
Im Cockpit gilt „Trust your instruments“, aber manchmal auch das Gegenteil: „If it feels wrong, it probably is.“ Wie balancieren Sie zwischen Intuition und datenbasierter Analyse und was bedeutet das für datengetriebene Unternehmensführung?
Im Cockpit gibt es kein festes Rezept, wann man Daten vertraut und wann dem Gefühl. Meist stützen wir uns auf Zahlen, Fakten und Checklisten, doch manchmal zeigt uns der innere Kompass eine klarere Richtung. Ich nenne das nicht Intuition, sondern Erfahrung, die sich über Jahre verfeinert. Auch in Unternehmen gilt: Daten sind wichtig, aber sie ersetzen nicht menschliche Urteilskraft. Gute Führung bedeutet, beides zu verbinden: analytische Klarheit und das Vertrauen in das eigene Gespür. Denn das wichtigste Instrument befindet sich nicht im Cockpit, sondern im Herzen.
2003 zählt Philip Keil mit 22 Jahren zu den jüngsten Verkehrspiloten Deutschlands. Er sammelt über 9.000 Flugstunden mit tausenden Starts und Landungen auf vier Kontinenten. 2009 wird ein Routineflug in Afrika mit knapp 200 Menschen an Bord zum akuten Notfall. Philip Keil kann die Situation unter Kontrolle bringen und die Maschine sicher landen. Wenige Tage später sitzt er wieder im Cockpit. Seit 2014 steht Philip Keil als Keynote Speaker europaweit auf der Bühne. Seit 2017 wird er international als „TOP100 Excellent Keynote Speaker“ geführt. 2019 und 2020 wird Philip Keil als Deutschlands „Redner des Jahres“ für den Red Fox Award nominiert. Philip Keil hat in über 20 Ländern in Europa und Asien zehntausende Menschen mit seinen Vorträgen erreicht.
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