Arbeitsrecht in der Krise – heute Kurzarbeit in der Automobilindustrie, morgen Insolvenz und Massenentlassung?

Ein Beitrag der DDIM.fachgruppe // Automotive
Autor: Dr. Karl Werdich [www.werdich.org]

Weltweit sind im 2. Quartal 2020 die Automärkte eingebrochen. Die Automobilhersteller und -zulieferer sind mit erheblichen Auftragsrückgängen konfrontiert. Diese Nachfragesituation führt zu Sparmaßnahmen und Stellenabbau, da insbesondere Personalkosten einen wesentlichen Kostenblock für die Unternehmen darstellen. All dies trifft die Autobranche in einer historischen Transformationsphase des „technologischen Wandels“ die bereits im Jahr 2019 ihre Spuren hinterlassen hat.

Arbeitsmarkt 2020 in Deutschland

Auch wenn die Arbeitslosenzahlen durch Maßnahmen wie Kurzarbeitsgeld das Ausmaß noch nicht im vollem Umfang zeigen – der technologische Wandel und die Corona-Krise setzen den deutschen Arbeitsmarkt im Jahr 2020 stark unter Druck. Wir sehen und verstehen, dass trotz ruhigen und sehr erfolgreichen Jahren seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 ein stabiler Arbeitsmarkt nicht selbstverständlich ist. Ein gegenwärtiger konjunktureller Abschwung kann also nicht gänzlich verleugnet werden, auch wenn der technologische Wandel und die einhergehende Digitalisierung im weltumspannenden Krankheitsbild immer nur temporär in die Medienlandschaft gelangt.

Arbeitsrechtliche Möglichkeiten

Was können Sie als Unternehmer tun und welche Möglichkeiten bietet Ihnen hierzu das Arbeitsrecht? Der Begriff Krise wird unterschiedlich verwendet – wenn wir momentan von Krise sprechen, dann meinen wir Pandemie, Corona oder COVID-19. Wird hingegen von Krisenstadien eines Unternehmens gesprochen finden wir uns meist in den sechs Krisenstadien (nach IDW S6) wieder, wovon rechtlich nur das letzte Stadium „Insolvenzreife“, in welchem das Unternehmen einen Insolvenzantrag gestellt hat, von Bedeutung ist. à Lassen Sie uns hier zur Vereinfachung die Unterscheidung treffen: „Arbeitsrecht“ vs. „Arbeitsrecht in der Insolvenz (bzw. -reife).“ Hier noch ein wichtiger Hinweis: Die folgende Zusammenstellung dient lediglich Informationszwecken, stellt keine Rechtsberatung dar und kann insbesondere keine rechtliche Beratung ersetzen.

1) Arbeitsrecht (hier: auch in der Wirtschaftskrise)

Das deutsche Arbeitsrecht ist arbeitnehmerfreundlich, aber dennoch stehen Arbeitgebern einige Maßnahmen zur Verfügung. Dies sind neben unternehmerischen Entscheidungen u.a.:

  1. Sofortmaßnahmen wie Abbau von Leiharbeitnehmern, Einstellungsstopp und Probezeit
  2. Abbau von Überstunden
  3. Nutzung von Arbeitszeitkonten
  4. Urlaub („Zwangsurlaub“), Betriebsferien
  5. Kurzarbeitergeld (KUG) / Reduzierung der Wochenarbeitszeit
  6. Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (KAPOVAZ)
  7. Altersteilzeit
  8. bis hin zum Drehen an der Entgeltschraube und Personalabbau

Rechtsgrundlagen

Natürlich gelten hierbei Rechtsgrundlagen wie europäisches und deutsches Recht, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Arbeitsvertrag und die Betriebliche Übung und u.a. sind folgende Gesetzbücher zu beachten:

  • Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
  • Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
  • Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)
  • Sozialgesetzbuch (SGB, insb. SGB III)
  • Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)
  • Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Die Durchsetzung der Maßnahmen (siehe Punkt 1 -> a-h) ist immer ein Kraftakt und erfordert von allen Beteiligten (Arbeitgeber, -nehmer, Betriebsräte und weiteren Partnern) u.a. planerische und hohe kommunikative Fähigkeiten.

Kurzarbeitergeld

Insbesondere KUG (geregelt in §§ 95-109 SGB III) ist derzeit in aller Munde. Laut Berechnungen des ifo-Instituts befanden sich im Mai 2020 rund 7,3 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland in Kurzarbeit, d.h. in einer vorübergehenden Verringerung der regelmäßigen Arbeitszeit aufgrund des Arbeitsausfalls in Folge der Pandemie. Dies entspricht der höchsten Zahl innerhalb der letzten 30 Jahre. Nur in den Jahren 1991 mit 1,8 Millionen (Neue Bundesländer in Folge der Wiedervereinigung) und in 2009 mit 1,1 Millionen (Finanz- und Wirtschaftskrise) wurde ebenfalls die Grenze von einer Million Arbeitnehmern in Kurzarbeit überschritten.

Altersteilzeit, Entgelt, Personalabbau

Die letzten beiden Maßnahmen (siehe Punkt 1 -> g-h) signalisieren das Ausscheiden aus dem Unternehmen bzw. Änderungen im Falle einer Fortführung (Änderungskündigung). Der Schritt in die Altersteilzeit gilt hierbei als „eleganter“ Weg, um die Mitarbeiterzahl zu reduzieren. Im Jahr 2019 hatten diese Vorgehensweise bereits einige OEMs der Autoindustrie gewählt und damit Personalüberhänge, die in Bezug auf den Technologiewandel und die Digitalisierung entstanden waren, zumindest teilweise reduziert. Durch die gesteigerten Auswirkungen in Folge der Pandemie möchten jedoch einige Unternehmen nun den Stellenabbau beschleunigen und verhandeln mit den Betriebsräten über die Möglichkeiten, ohne oder zumindest nur als letztes Mittel betriebsbedingte Kündigungen aussprechen zu müssen. Hierzu gibt es einige Optionen, wie z.B. Mitarbeiter mit Abfindung früher in den wohlverdienten Ruhestand zu entsenden. Bei allen Maßnahmen gilt es natürlich, fair mit Mitarbeitern umzugehen und insbesondere die arbeitsrechtlichen Aspekte zu wahren.

Interim Manager mit Krisenerfahrung

Krisenerprobte Interim Manager beispielsweise aus dem Bereich der Unternehmensführung (GF / CEO, CFO, etc.) oder Personalwesens (HR) können Sie in dieser Phase durch ihre Erfahrung und Kompetenz (Know-how) unterstützen, damit der Geschäftsbetrieb weiterlaufen kann. Dabei ist die Überbrückung einer (kurzfristig) aufgetretenen Vakanz für den Interim Manager ebenso selbstverständlich wie die Übernahme projektbezogener Aufgaben, wie beispielsweise die Restrukturierung und Sanierung oder die Einführung neuer Programme.

Stellt jedoch ein Unternehmen einen begründeten Insolvenzantrag, ändern sich bereits mit der Antragsstellung und nach der Insolvenzeröffnung arbeitsrechtliche Voraussetzungen und die Insolvenzordnung (InsO) findet sodann Anwendung in dem sich in Schieflage befindlichen Unternehmen.

2) Arbeitsrecht in der Insolvenz (bzw. -reife)

Mit Eintritt des Unternehmens in die Insolvenzreife und mit Antragsstellung, begründet auf (drohender) Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (vgl. hierzu §§ 17-19 InsO), ändern sich auch die rechtlichen Möglichkeiten für das Unternehmen. Das Arbeitsrecht hält sodann eine Reihe von Sonderbestimmungen bereit, die den besonderen Anforderungen einer Unternehmensinsolvenz Rechnung tragen. Das in Teilen dann deutlich von den arbeitsrechtlichen Regeln abweichende Arbeitsrecht trägt daraufhin zur möglichen Sanierung eines angeschlagenen Unternehmens bei. Vor allem die erleichterte Möglichkeit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen (insb. Beendigungskündigung) und die Verkürzung der Kündigungsfristen nach § 113 InsO auf maximal drei Monate zum Monatsende sind hier zu nennen. Durch das sog. Insolvenzgeld wird die Liquidität des Unternehmens verbessert, indem bestehende Lohn- und Gehaltsansprüche der betroffenen Mitarbeiter rückwirkend für drei Monate vor der Insolvenzeröffnung durch die Bundesagentur für Arbeit abgesichert werden.

Wenn sich die Unternehmensschieflage weiter zuspitzt,  werden u.U. Massenentlassungen schnell zur Realität und sind i.S.d. § 17 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) zu gestalten.

Risiken erfolgreich begegnen

Die Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen und der hierzu ergangenen Rechtsprechung sind wichtig, um Risiken erfolgreich zu begegnen. Abhängig Ihres Weges (Eigen-/Fremdverwaltung) übernehmen sodann mit oder ohne Ihre Beteiligung Sachwalter, Insolvenzverwalter und Interim Restrukturierungs- und Sanierungsberater bzw. CROs (Chief Restructuring Officers) zumindest einen Teil der Arbeit und Verantwortung. Ein erhöhter Bedarf an Interim Managern war im Jahr 2019 bereits deutlich zu erkennen, wenn auch viele Kunden noch zögerlich agieren und das Damoklesschwert der Sanierung allzu gerne ignoriert wird.  Gerade Führungskräfte auf Zeit können zeitnah und mit viel Erfahrung problematische Aufgabenstellungen bearbeiten, ohne dass Planstellen geschaffen bzw. feste Mitarbeiter eingestellt werden müssen oder eine langwierige Ausbildung im Tagesgeschäft zusätzlich Geschwindigkeit reduziert.

Fazit

Dass Kurzarbeit und/oder Stellenabbau nicht alle Unternehmen retten können, hat man im Jahr 2009 bereits deutlich gesehen. Was ist Ihre Lösung: Verharren und nichts tun?

Unsere Erfahrung zeigt, dass proaktiv vorgehende Unternehmen Krisensituationen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit überwinden. Lassen Sie „Schreck und Erstarren“ schnell der Frage weichen, welche Prioritäten gesetzt und realisiert werden müssen.

Über den Autor

Dr. Karl Werdich ist Interim Manager und DDIM Mitglied.

Mit Erfahrung in der Industrie (Automobil, Luft- und Raumfahrt) und in Managementpositionen innerhalb KMUs unterstützt er seit mehreren Jahren mittelständische Unternehmen auf Bereichs- und Geschäftsführungsebene.

Wirtschaftsberatung Werdich GmbH https://www.werdich.org

Über die Fachgruppe

Die 30 Mitglieder der DDIM.fachgruppe Automotive wenden sich an Automobil­zuliefer­unternehmen, Automobilhersteller und -importeure, Automobilhändler und -handels­­gruppen, an die Anbieter im Aftermarket und alle weiteren Mobilitäts­anbieter. Wir werden Ihnen dabei helfen, aus der Corona Krise wieder schnell, gestärkt und zukunfts-sicher ausgerichtet in die Erfolgsspur zurückzukehren. Nutzen Sie in Ihrem Unternehmen temporär und flexibel die langjährige Erfahrung, die Umsetzungsstärke und gestandene internationale Führungs-Erfahrung unserer Interim Managerinnen und Manager!

Wir freuen uns auf den Kontakt mit Ihnen.

DDIM.fachgruppe // Automotive
Dachgesellschaft Deutsches Interim Management e. V.