Wirecard – Lehren für viele Unternehmen

von Paul Stheeman und Maik Rothe

Noch ist ungeklärt, was tatsächlich bei Wirecard passiert ist, um Euro 1,9 Milliarden verschwinden lassen zu können. Und es wird wahrscheinlich noch einige Zeit dauern, bis alle Einzelheiten ans Licht kommen.
In diesem für den Finanzplatz Deutschland spektakulären Fall wurden vermutlich gepaart mit krimineller Energie interne Prozesse nicht befolgt oder – was eigentlich schlimmer wäre – nicht richtig definiert und umgesetzt. Wenn gleichzeitig die Aufsichtsbehörden wie die Bafin ihre Aufsichtspflichten nur unzulänglich wahrgenommen haben, ist ein Schaden dieses Ausmaßes möglich.
Bei Zahlungsdienstleistern wie Wirecard müssen Fremdgelder auf sogenannten Treuhandkonten hinterlegt werden, damit sie unabhängig von der finanziellen Lage der Gesellschaft sicher sind. In der Praxis bedeutet dies, dass die Konten zwar den Zahlungsdienstleistern gehören, die Gelder aber nicht. Die Regeln hierfür werden in Deutschland von der Bafin erstellt, die Firmen wie Wirecard Lizenzen erteilt und über die Einhaltung der Regeln wacht.
Die Vorgänge um Wirecard haben bereits jetzt eine verheerende Wirkung auf das Vertrauen in den deutschen Kapitalmarkt; der internationale Ruf ist stark geschädigt. Nicht nur Banken und ähnliche Institute sollten ihre Modelle der Verwaltung der Bankkonten und Gelder überprüfen. Auch die Industrie und der Mittelstand sollten das tun.
Kriminelle Machenschaften können nie gänzlich verhindert werden. Unumgänglich aber ist die konsequente Einführung einer Organisation mit robusten Prozessen, die es potentiellen Betrügern so schwer wie möglich macht, ihr Unwesen zu Lasten eines Unternehmens zu treiben.

Professionelle Treasuryfunktion
Seit Jahren wird international eine professionelle Treasuryfunktion für Konzerne, aber auch für mittelständische Unternehmen, als immer notwendiger angesehen. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für Banken und Zahlungsdienstleister, sondern auch für Industrie-unternehmen. Was bedeutet das genau? Kern einer solchen professionellen Funktion ist die Zentralisierung aller Tätigkeiten, die mit der Verwaltung des Vermögens eines Unternehmens zusammenhängen.

Das fängt mit der Auswahl der Banken an. Die Auswahl der Bankpartner, insbesondere im Ausland, muss durch die zentrale Treasury erfolgen. Lokale Tochtergesellschaften können Empfehlungen abgeben, aber die Entscheidung muss zentral stattfinden. Oft werden Banken anhand von sogenannten weichen Kriterien ausgesucht. Dabei sind es die harten Kriterien, die zu einer höheren Sicherheit führen.

Harte Kriterien Weiche Kriterien
International anerkannt und mit gutem Rating Mit der Bank immer zusammengearbeitet
Korrespondenzbank der Hauptbank Nähe der Filiale zu dem Sitz der Tochtergesellschaft
Fähigkeit zum Pooling innerhalb der lokalen Gesetze Freundschaftliches Verhältnis zum lokalen Bankmanager

Die Bankkontenstruktur bei vielen Unternehmen basiert zu oft noch auf veralteten Prozessen, bei denen Zahlungsinstruktionen noch physisch zur Bank gebracht worden sind. Dass der Zahlungsverkehr heute fast ausschließlich elektronisch durchgeführt wird, hat in vielen Fällen nicht zu einer sinnvollen Anpassung der Bankenlandschaft innerhalb der Unternehmen geführt.

In einigen Ländern muss sich der Treasurer fragen, ob externe Bankkonten für jede Gesellschaft überhaupt benötigt werden und wenn ja, ob diese für das tägliche Geschäft eingesetzt werden müssen. Oft reicht es auch, wenn die Konzernzentrale als In-House-Bank funktioniert und den Zahlungsverkehr für den Konzern durchführt (COBO – Collection on behalf of und POBO – Payments on behalf of).

Es gibt viele Länder, in denen COBO und POBO-Strukturen praktisch nicht eingeführt werden können, z. B. durch lokale Regulierungen in den meisten asiatischen Ländern. Aber auch hier kann und sollte die Durchführung des Zahlungsverkehrs zentral geregelt werden. Die zentrale Treasury und nicht die lokalen Produktions- und Betriebsstätten sollte die Verwaltung aller Bankkonten eines Unternehmens führen.

Zentrale Verwaltung der Bankkonten

Was bedeutet Verwaltung aller Bankkonten? Hier sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Zuerst geht es um die Kontoinformation, die die Bank dem Kunden zur Verfügung stellt. Die Unternehmenszentrale muss dafür sorgen, dass die Kontostände täglich von allen Banken auf elektronischer Basis übermittelt werden. Es gibt heute einige Softwareunternehmen, die die erforderliche Konnektivität mit den Banken herstellen, damit dieser Prozess reibungslos ablaufen kann. Das Reporting von Kontosalden durch Mitarbeiter vor Ort wird damit überflüssig. Das Treasurysystem sollte in der Lage sein, täglich eine detaillierte Aufstellung über sämtliche Beträge in der Gruppe zu generieren.
Zweitens geht es darum, die Zahlungsfreigabe für ausgehende Zahlungen ebenfalls zu zentralisieren, und zwar für alle Zahlungen. In den meisten Fällen gibt es hierfür IT-Systeme, die eine zentrale Freigabe aller Zahlungen auf Basis der Zahlungsvorschlagslisten der

Tochtergesellschaften ermöglichen. Es gibt aber auch noch Länder, in denen lokale Finanzmanager Schecks oder sonstige Überweisungsaufträge ausstellen, die nicht in dem ERP-System zentral erfasst werden. Hier sollte sichergestellt werden, dass sämtliche ausgehenden Zahlungen in einer entsprechenden Datei erfasst werden. Dieser Prozess sollte lokal erfolgen und die Datei anschließend an die zentrale Treasury übermittelt werden. Hier wird die Datei auf Plausibilität geprüft und es wird festgestellt, ob die Ausführung der Zahlung im Rahmen der vorhandenen und geplanten Liquidität erfolgt.

Die Freigabe an die Bank erfolgt wiederum durch die zentrale Treasury auf dem gleichen Weg wie die Übermittlung der täglichen Kontostände.
Es wird wahrscheinlich noch einige Zeit vergehen, bis wir genau wissen, was bei Wirecard schiefgelaufen ist. Aber die Vorgänge dort sollten als Weckruf für alle Unternehmen dienen, zu prüfen, ob die eigene Organisation und die zusammenhängenden Prozesse ausreichend sind, um die Risiken von Betrugsfällen zu minimieren. Nach unserer Überzeugung sind professionelle Treasuryfunktionen und eine zentrale Verwaltung der Bankkonten in den heutigen international agierenden Unternehmen der sicherste Weg, um Veruntreuung entgegenzuwirken. Darüber hinaus sind diese Wege am besten geeignet, um die aktuell für viele Unternehmen knapper werdenden liquiden Mittel effizient zu nutzen.

Über die Autoren:

Paul Stheeman ist Gründer der STS – Stheeman Treasury Solutions GmbH und ein erfahrener Interim Treasurer, der Unternehmen bei der Aufstellung einer Treasuryfunktion unterstützt.
www.stheeman.de

Maik Rothe ist langjähriger Interim CFO mit den Schwerpunkten Liquiditätssicherung und Restrukturierung. Er ist Co-Gründer der Sozietät für Beratung und Interim Management Via Momentum.
www.via-momentum.com