Skill-Based Recruiting als Instrument gegen den Fachkräftemangel

Ein Beitrag von DDIM Partner Friedrich Menz // Hays AG

2023 ist der Zeitpunkt gekommen, dass jährlich nun mehr Menschen den Arbeitsmarkt verlassen als Berufseinsteigende hinzukommen, bis zu 500.000 Menschen scheiden aus dem Berufsleben aus. Der demographische Wandel, seit langem bekannt, beginnt seine Wucht auf dem Arbeitsmarkt zu entfalten. Wie sehr dies manche Branchen und Funktionen trifft, wird nicht allerorts in gleichem Maße erkannt. Im Recruiting wird doch meist auf Altbewährtes gesetzt.

Denn nach wie vor treffen wir auf Stellenanzeigen wie diese:

„Dein Profil: Du hast ein erfolgreich abgeschlossenes (Fach-) Hochschulstudium als Wirtschaftsingenieurin oder -ingenieur, im Fachbereich Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsinformatik, Bauingenieurwesen oder einem anderen technischen Bereich.“

Die offensichtliche Wahllosigkeit des Studienschwerpunkts ist schon ein Indiz für die Orientierungslosigkeit, aber klar ist hier: es muss definitiv ein Absolvent oder eine Absolventin sein. Warum?

Aus dem Rest der Anzeige wird das nicht klar und auch die Formulierung selbst stimmt in ihrer Beliebigkeit nachdenklich – warum braucht es für diese Stelle überhaupt einen Hochschulabschluss? Geht es da um konkrete Fähigkeiten – oder einfach einen Automatismus?

In den USA haben im Jahr 2017 60% der Unternehmen Menschen abgelehnt, die zwar die für die jeweilige Stelle notwendigen Erfahrungen und Fähigkeiten mitbrachten, aber keinen Hochschulabschluss. Zwei Drittel der befragten Firmen sagten also: wir suchen zwar Leute, aber ohne ein Stück Papier, dessen Wert in Zeiten von Noteninflation und sinkender akademischer Standards höchst zweifelhaft ist wollen wir sie hier nicht.

Gewiss: Anders als in Ländern Kontinentaleuropas gibt es in den USA keine duale Ausbildung, weswegen die Akademikerquote zwar höher ist als in Deutschland, die des tertiären Bildungsbereichs aber vergleichbar – viele der Tätigkeiten, die dort eine Person mit Bachelorabschluss ausübt führt hierzulande jemand mit einer Berufsausbildung bzw. Aufstiegsfortbildung als Fachkauffrau oder Betriebswirt durch. Aber auch bei uns steigt die Studierendenquote seit Jahren (inzwischen auf >50% eines Geburtenjahrgangs) und die Debatte um die Akademisierung bisheriger Ausbildungsberufe wird gerade in Pflege- und Erziehungsberufen nicht ohne Absicht, diese Berufsfelder attraktiver zu gestalten, mit Nachdruck vorangetrieben. Auch hierzulande spielt der Abschluss an sich also noch eine große Rolle.

Vor dem Hintergrund des enormen Fachkräftemangels stellt sich aber eben auch hier die Frage: warum eigentlich?

Zunächst brauchen Unternehmen doch Menschen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben können (und wollen), mithin also ganz bestimmte Fähigkeiten haben – manche davon werden sicherlich im Studium vermittelt, aber eben nicht nur dort. Und sicherlich gilt insbesondere nicht der Umkehrschluss, dass Absolvierende nicht-akademischer Ausbildungsgänge diese Fähigkeiten nicht oder nicht im selben Maße hätten.

Immerhin 1/5 der Stellenzeigen amerikanischer Unternehmen verzichten inzwischen daher schon auf einen akademischen Abschluss als Einstellungskriterium und setzen bei der Suche stattdessen auf ganz bestimmte Fähigkeiten. Unternehmen wie Google, IBM und Walmart setzen auf das sogenannte Skill-based Recruiting: also die gezielte Suche nach Fähigkeiten, nicht nach Absolvierenden oder bestimmten Abschlüssen. Andere Fähigkeitsnachweise wie Zertifikate spielen dabei eine immer größere Rolle: von Bildungsträgern wie edX, Coursera und Udacity oder Anbietern wie Google, Microsoft, wo sich lernhungrige günstig, schnell und effektiv neues Wissen und Fähigkeiten aneignen können – zu einem Bruchteil des Preises einer Hochschulausbildung und ohne aus dem Beruf auszusteigen.

Mehr Menschen, mehr Potenzial

Öffnet man den Pool potenzieller Bewerbenden um Menschen ohne Hochschulabschluss, so erschließt sich der Nutzen sofort: betrug die Akademikerquote in Deutschland 2019 nur knapp 20% liegt die Quote derjenigen mit qualifiziertem Berufsabschluss bei gut 50%. Braucht ein Geschäftsführer ein Diplom? Braucht ein Marketing-Manager einen Master? Gilt nicht für viele Tätigkeiten und Funktionen, was für IT-Expertinnen und -Experten gilt auch für jede andere Tätigkeit auch? Dass Fähigkeit und Erfahrung formale Qualifikation sticht? Sicherlich gibt es auch Grenzfälle, aber bedenken Sie: Pilotin, Flugloste und Sprengmeister sind allesamt nicht-akademische Berufe. Finden Sie, dass das keine sonderlich verantwortungsvollen Tätigkeiten sind?

Für das sogenannte „Skill-basierte Recruiting“ sind drei grundsätzliche Fragen in der strategischen Personalplanung von größter Bedeutung:

  1. Skill-Mapping: Ein klares Verständnis davon, welche konkreten Fähigkeiten im Unternehmen mittel- und langfristig gebraucht werden, ist zentraler Bestandteil einer strategischen qualitativen Personalplanung. „Think tasks, not jobs“: in einer sich immer schneller verändernden, technologisierten Welt sind konkrete Aufgaben relevanter als Berufsbilder: Noch vor 15 Jahren waren Jobs wie DevOps Engineer oder SEO-Manager entweder nicht existent oder Nischen.

Dazu gehört die entscheidende Frage, welche Fähigkeiten Unternehmen bereits besitzen und welche nicht: kaum ein Unternehmen führt aber ein systematisches Skill-Mapping durch, also eine systematische Erfassung aller unternehmensrelevanten Fähigkeiten der Bestandsmitarbeitenden. (Nicht nur) die jungen Menschen, um die wir mit so viel Nachdruck werben, bringen doch bereits eine Fülle an Fähigkeiten mit! Wer erfasst sie? Wer macht dieses Potenzial so sichtbar, dass es nutzbar wird? Welche Fähigkeiten gibt es im Unternehmen, welche nicht und wo finden sich an den ehesten Personen, die sie gesuchten Fähigkeiten haben? Spezielle technologische Anwendungen, aber selbst simple anonymisierte Umfragetools können hier schon ein Anfang sein. Englischkenntnisse? Programmiersprachen? Führungspotenzial? Kulturelle Kompetenz? Die Liste lässt sich fortsetzen. Unternehmen sind gut beraten, das ganze Potenzial ihrer Workforce besser und umfangreicher auszuloten.

  1. Skill Tests statt Interviews: Wir alle kennen sie: Vorstellungsgespräche, die zwischen Verhör und freundlichem Kaffeeplausch mäandern und im Grunde auf das immer gleiche hinauslaufen, einige vage, unstrukturierte Fragen und am Ende entscheidet die Sympathie – und der Gehaltswunsch. Fokussieren sich Unternehmen stattdessen auf klar definierte Kompetenzen und Fähigkeiten – gerne unterstützt durch psychometrische, objektivierbare Auswahlverfahren – und nicht allein auf die „Persönlichkeit“ (die in Tests gar nicht bzw. nur mit hohem Aufwand prüfbar ist), erweitern sie den Pool potenzieller Kandidatinnen Kandidaten und tragen letztlich zu mehr Vielfalt im Unternehmen bei.
  2. Personalentwicklung: PE ist mehr als ein Fortbildungskatalog zu Englisch und Excel – nachweislich steigern Unternehmen, die systematisch in das Up- und Reskilling der Mitarbeitenden investieren erhöhen nachweislich die interne Mobilität und die Retention, also die Mitarbeiterbindung. Lesen Sie mehr über diesen bedeutenden Faktor im Hays HR-Report zum Thema Mitarbeiterbindung hier. Wir unterstützen übrigens Unternehmen auch mit einer Vielzahl von Angeboten dabei, ihre Mitarbeitenden bedarfsgerecht sowie berufsbegleitend und -integrierend weiterzubilden.

Das Recruiting muss insgesamt kreativer und offener werden.

Das bedeutet in diesem Kontext aber nicht nur, dass die Recruitingkanäle und Methoden überprüft werden sollten, sondern auch die grundsätzlichere Frage nach den Profilen, die gesucht und wirklich gebraucht werden. In einem engeren Markt müssen Unternehmen nicht nur flexibler in Bezug auf Kandidatenwünsche sein, sie müssen insbesondere auch ihre Ansprüche und Haltungen überdenken – was muss jemand können, nicht nur: was hat jemand auf dem Papier gelernt? Und: was können wir Menschen beibringen?

Vergessen Sie dabei nicht: während in Deutschland praktisch jede formale Kompetenzerweiterung mit einem Nachweis irgendeiner Art einherzugehen hat, gibt es für die wichtigsten Kompetenzen und Fähigkeiten. Schauen Sie auf den ganzen Menschen, nicht nur den (Bildungs-)Hintergrund.

Friedrich Menz ist geprüfter Personalfachkaufmann IHK und hat Geschichte in Darmstadt (B. A.) sowie Personalentwicklung in Kaiserslautern (M. A.) studiert. 2011 ist Friedrich Menz ins HR-Umfeld eingestiegen. Er war zunächst im Vertrieb, dann im Recruiting und später in der Personalentwicklung bei Unternehmen der Beratungs- und Einzelhandelsbranche tätig. Seit 2018 ist er als Sales Trainer bei Hays beschäftigt und verantwortet seit 2019 das Team und die Inhalte des Hays Learning Centers. Dementsprechend ist Friedrich Menz für das Onboarding aller Neueinsteiger bei Hays in Deutschland und der Schweiz zuständig.

Als einer der weltweit führenden Personaldienstleister rekrutiert Hays hoch qualifizierte Spezialisten für den privaten und öffentlichen Sektor. Anspruch des Providers ist es, Kunden und Spezialisten passgenau und zuverlässig zusammen zu bringen. Durch proaktives Rekrutierungsmanagement kennt der Vermittler die richtigen Experten bereits, wenn Kunden Spezialisten suchen. Für Kandidaten verfügt Hays über enge Kontakte zu renommierten Unternehmen – vom erfolgreichen Mittelständler bis zum großen Konzern – und kann exakt die Positionen und Projekte vermitteln, die den Kunden voranbringen. Kandidaten profitieren von den flexiblen Arbeitsmodellen, ganz gleich, ob in Festanstellung, als Freiberufler oder im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung.