real SB-Warenhaus-Gruppe: Ende einer Legende – CRO in einer großen „Insolvenz in Eigenverwaltung“
Ein Interview mit DDIM Vorstand Harald H. Meyer und Executive Interim Manager Dr. Ulrich Bergmoser
Die real SB-Warenhaus-Gruppe betrieb einst annähernd 300 SB-Warenhäuser in Deutschland und Europa und galt als eine Art „analoges Amazon“ der Handelswelt. Nachdem die vormalige Anteilseignerin METRO sich von real getrennt und Anfang 2020 an das Londoner Private-Equity-Unternehmen The SCP Group veräußert hatte, begann ein rasanter Umbau der Gruppe.
Nach einem erneuten Eigentümerwechsel im Jahr 2022 – real betrieb zu dieser Zeit noch 63 Märkte – geriet das Unternehmen im Jahr 2023 wieder in schwere Turbulenzen. SCP kehrte als Eigentümer zurück. Es gelang dem neu eingesetzten Management, das Unternehmen unter großem Druck im Rahmen einer Insolvenz in Eigenverwaltung zu restrukturieren. Eine zweistellige Anzahl an Märkten mit über 1.000 Beschäftigten konnte durch Veräußerung erhalten und der Rest geordnet und vor allem sehr schnell abgewickelt werden.
Der Executive Interim Manager Dr. Ulrich Bergmoser trat am 1. Juli 2023 inmitten einer Liquiditätskrise als CFO/CRO in das Unternehmen ein und prägte den weiteren Verlauf der Ereignisse maßgeblich mit. Mit ihm sprach Harald H. Meyer, CRO/CEO und Vorstand der DDIM e.V.
Harald H. Meyer: „Einmal hin. Alles drin“ – unter diesem Slogan warben die real-SB-Warenhäuser einst für ihr ungewöhnlich breites Sortiment. Warum konnte sich dieses Konzept nicht nachhaltig durchsetzen?
Dr. Ulrich Bergmoser: Das Konzept war richtig in seiner Zeit: Ganz unterschiedliche Bedarfe mit nur einem Einkauf zu decken, war besonders für Familien sehr reizvoll. Zudem gab es erfolgreiche Initiativen, als zweite Säule ein digitales Handelsgeschäft aufzubauen. Auch wenn ich die Geschichte von real nicht in ihrer Gänze überblicke, so habe ich doch den Eindruck, dass die strategische DNA des Unternehmens – eine vielfältige Einkaufswelt mit Vollsortiment – nicht grundsätzlich falsch war. In seinem Heimatmarkt Deutschland, der durch einen harten Preiswettbewerb und ein in den letzten zehn Jahren innovativ verbessertes Kundenerlebnis geprägt ist, hätte es bei real massiver Investitionen in die Markt-Infrastruktur bedurft, um im Wettbewerb Schritt zu halten. Dazu aber fehlten die Mittel.
Harald H. Meyer: Mein Eindruck ist, dass die Lage im Sommer 2023 schon sehr ernst war. Was konnten Sie in dieser Situation noch erreichen?
Dr. Ulrich Bergmoser: Nach der Rückübereignung der Gruppe an SCP und dem Arbeitsbeginn des neuen Management-Teams mussten wir uns zunächst um die weitere Finanzierung und die jederzeitige Zahlungsfähigkeit des stark defizitären Geschäftsbetriebs kümmern. Gleichzeitig leiteten wir eine ganze Reihe vertrieblicher Initiativen und operativer Verbesserungen ein, um kurzfristig die Marge zu steigern und die Kundenfrequenz in den Märkten zu erhöhen. Natürlich war die zentrale Frage, wie es weitergehen sollte. Folglich rechneten wir unter hohem Zeitdruck eine ganze Reihe strategischer Szenarien durch – von vollumfänglicher Unternehmensfortführung über eine teilweise Veräußerung des Marktportfolios bis hin zum Szenario einer solventen Liquidation. All diese Berechnungen beruhten auf bestimmten Prämissen und auf konkreten Gesprächen mit Wettbewerbern. Es wurde uns schnell klar, dass eine unternehmerische Fortführung des gesamten Marktportfolios nicht mehr realistisch war. Daher konzentrierten wir uns darauf, möglichst viele Märkte an Wettbewerber zu veräußern.
Harald H. Meyer: Was führte dann schließlich doch zur Insolvenz?
Dr. Ulrich Bergmoser: Das ist schnell erzählt. Die Verhandlungen mit potenziellen Erwerbern einer größeren Anzahl unserer Märkte scheiterten am 18. September 2023 teilweise. Dadurch waren wir nicht mehr nachhaltig durchfinanziert.
Harald H. Meyer: Wer waren diese Interessenten?
Dr. Ulrich Bergmoser: Im Wesentlichen Kaufland, REWE und EDEKA
Harald H. Meyer: Das hat natürlich großen Handlungsdruck erzeugt. Wie sind Sie dann weiter vorgegangen?
Zunächst war klar, dass Insolvenzantragspflicht bestand, was uns zwang, darauf umgehend zu reagieren. In kürzester Zeit stellten wir auf Notgeschäftsführung um und sorgten dafür, dass alle insolvenzbedingten Zahlungsverbote Beachtung fanden.
Es waren viele kritische Entscheidungen in kürzester Zeit zu treffen: Wie ließ sich ein unkontrollierter Zusammenbruch des Geschäftsbetriebs und damit eine vermeidbare Wertvernichtung verhindern?
Wie konnte die Organisation stabil gehalten und ein möglichst großer Teil des Geschäftsbetriebs – und vor allem der Arbeitsplätze – gerettet werden?
Wir entschieden uns zunächst, die September-Gehälter zu zahlen und eine „Insolvenz in Eigenverwaltung“ zu beantragen, obwohl die Ausgangssituation dafür nicht unbedingt günstig war.
Harald H. Meyer: Das war eine schwierige Situation; wie haben Sie das erreicht?
Dr. Ulrich Bergmoser: Zunächst erarbeiteten wir innerhalb einer Woche eine auskömmliche Finanzplanung für eine Eigenverwaltung. Sie prognostizierte planerisch nur eine Bestandsliquidität am Ende des Verfahrens in kleinerer Millionenhöhe – und das bei einem Unternehmen, das im Jahr 2023 noch rund eine Milliarde Umsatz generierte. Weil wir an die Umsetzungsfähigkeit der real-Organisation glaubten, gingen wir das Wagnis ein und stellten folglich beim zuständigen Insolvenzgericht den Antrag auf „Insolvenz in Eigenverwaltung“. Eine wichtige Rolle dabei spielte unser Kooperationspartner und Warenlieferant REWE, der über erhebliche Sicherheitsrechte an unserem Warenbestand verfügte. Mit REWE verhandelten wir in der Rekordzeit weniger Tage einen sogenannten „Unechten Massekredit“, der uns die nahtlose Fortführung des Geschäftsbetriebs erst erlaubte. Ich muss sagen, dass mich die Professionalität aller Beteiligten in dieser Phase – Vorstände, Geschäftsführer, Berater und vor allem das real-Team – sehr beeindruckte.
Harald H. Meyer: Das war ein wichtiger erster Schritt. Wie ging es dann weiter?
Dr. Ulrich Bergmoser: Ende September 2023 entsprach das Gericht unserem Antrag. Bis dahin waren wir Getriebene der Ereignisse gewesen. Nun setzten wir wieder darauf, „vor die Lage“ zu kommen. Dies bedeutete konkret, dass wir wieder vorausschauend in Szenarien dachten und planten.
In der Sache ging vor allem darum, möglichst viele SB-Warenhäuser an Wettbewerber zu veräußern, um so möglichst viel Substanz für die Gläubiger und viele Arbeitsplätze zu bewahren. In einer wie auch immer gearteten Unternehmensfortführung besteht schließlich der Sinn der Insolvenz in Eigenverwaltung. Also planten und konzeptionierten wir sämtliche bekannte Ereignisse mit einem Vorlauf von etwa drei Monaten und steuerten unsere Maßnahmen frühzeitig in die real-Organisation ein. Zu diesen Maßnahmen zählte ein strukturierter M&A-Prozess, aber auch die Vorbereitung einer in der Geschichte von real noch nie praktizierten gleichzeitigen Schließung von mehr als 40 Märkten. Wegen der angespannten Liquiditätslage durfte bei alledem nichts Wesentliches schiefgehen.
Harald H. Meyer: Das ist eine hochkomplexe Situation und Aufgabe; ging Ihre Rechnung auf?
Dr. Ulrich Bergmoser: Insgesamt ja. Die vorausschauende Planung von Maßnahmen befähigte uns auch, auf unvorhergesehene Ereignisse besser reagieren zu können, an denen es wahrlich nicht mangelte. Zum Beispiel stellten wir im Januar 2024 eine Inventurdifferenz von 18 Mio. EUR fest, was allen Beteiligten und Sicherheitsgebern angesichts der engen Liquiditätslage viel guten Willen und Professionalität abverlangte!
Harald H. Meyer: Mittlerweile sind nicht nur sämtliche Märkte verkauft oder geschlossen, sondern auch die ehemalige Unternehmenszentrale wurde bereits bis zum 31.12.2024 aufgegeben. Was ist das Geheimnis hinter dieser hohen Geschwindigkeit?
Dr. Ulrich Bergmoser: Wenn es ein Geheimnis gibt, dann besteht es in harter Arbeit, einem großartigen Team und dem Ansatz, größere Streitigkeiten mit Geschäftspartnern, Gläubigern und Gesellschaftern auf dem Vergleichsweg auszuräumen. Das spart Zeit und schont Ressourcen, die nun zur Befriedigung der Gläubigeransprüche und – vor allem – zur Bedienung des Insolvenzsozialplans zur Verfügung stehen. Nicht unerwähnt bleiben darf die ebenso professionelle wie pragmatische Zusammenarbeit mit dem vom Insolvenzgericht eingesetzten Sachwalter, der sich durch große Ruhe und Sachkunde auszeichnete.
Harald H. Meyer: Herr Dr. Bergmoser, ich danke Ihnen für diese hochinteressante Darstellung einer eigenverwalteten Insolvenz eines großen und hochkomplexen Retail-Unternehmens, die durch die Mitwirkung von Ihnen als Interim Manager und CRO sehr erfolgreich abgewickelt werden konnte.
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Nach seinen ersten beruflichen Erfahrungen im internationalen Marketing von bekannten Markenartikelunternehmen wechselte Harald H. Meyer (Dipl.-Kaufmann Universität Göttingen) in die Unternehmensberatung und konnte in 30 Jahren vielfältige Erfahrung in internationalen Strategie-, Restrukturierungs- und Sanierungsaufgaben für Konzerne und mittelständische Unternehmen sammeln. Seit 25 Jahren ist Harald Meyer in seinen Projekten auf der ersten Managementebene (CxO) tätig und hat dabei nachhaltige Erfolge erreicht. Seit 2002 ist er ausschließlich als Interim Manager (CRO) mit dem Schwerpunkt Restrukturierung / Sanierung tätig. Seine funktionalen Schwerpunkte liegen in den Bereichen General Management, sowie in der Linien- und Projektverantwortung für Strategie, Organisation, Prozessorganisation, Internationales Marketing und Vertrieb, F & E, Supply Chain Management, Finanzen / Controlling.
Dr. Ulrich Bergmoser ist Partner bei EIP Executive Interim Management, München, einem auf die Bewältigung unternehmerischer Sondersituationen spezialisierten Anbieter von Management-Dienstleistungen auf C-Level. Nach Stationen bei EY und in der Geschäftsleitung der Strategieberatung Booz Allen Hamilton/Booz&Company wirkte er als CEO, CFO und CRO sowie als Aufsichtsrats- und Beiratsmitglied in Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen. Dr. Bergmoser verfügt im In- und Ausland über ausgewiesene Erfahrungen aus Vorstands- bzw. Geschäftsführungspositionen bei Unternehmen des Handels, der Immobilien- und Parking-Branche, der Medizintechnik, bei Family Offices, Fonds-Unternehmen sowie bei Banken und im Maschinenbau. Er hat sich auf Transformationen aller Art spezialisiert.
EIP Executive Interim Partners bietet erfahrene Interim Manager auf C-Level-Ebene für unternehmerische Sondersituationen an. Die Sozietät versteht sich als unternehmerischer Sparringspartner mit klarem Fokus auf Ergebnisverantwortung. Die Partner übernehmen temporär Verantwortung in Organstellungen wie Geschäftsführung oder Vorstand und unterstützen Unternehmen bei Transformationsprozessen, Restrukturierungen und weiteren Herausforderungen. Zu den branchenspezifischen Schwerpunkten zählen Automotive, Handel und Konsumgüter sowie Maschinen- und Anlagenbau.
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