Re-Globalisierung – Einsicht oder Zwang

Ein Beitrag der DDIM.fachgruppe // Automotive
Autor: Rigo Maier [Interim Manager]

Globalisierung führt zu komplexen Supply Chains mit einer fast undurchdringlichen Verkettung von Lieferanten und Sub-Lieferanten. Die Globalisierung ermöglicht, Märkte weltweit auszubauen und so neuen Absatz zu generieren, an vorderster Front in der Automobilindustrie. Neue Märkte sind entstanden, Bedürfnisse konnten geweckt werden und mit immer günstigeren Fertigungskosten erfolgt hier Gewinnmaximierung, manchmal auch unter Missachtung ethischer Standards.

Um ein komplexes Endprodukt wie z.B. ein Automobil in fernen Ländern produzieren zu können, mussten die wichtigsten Zulieferer an Bord sein und lokale Lieferanten ertüchtigt werden. Dies hatte zur Folge, dass in Schwellenländern wie China oder Indien komplette Industrien mit industriellem Wissen aufgebaut wurden. Investiert wurde nicht nur in Fabriken und Fertigungsstäten, auch Entwicklung und Verwaltungen wurden verlagert und Service-Netze aufgebaut. Dabei wurde billigend in Kauf genommen, dass ein Ausverkauf von Know How stattgefunden hat.

Das große Weltwirtschaftswachstum hat sich von den Industrieländern in Schwellenländer wie Indien und China verlagert und damit ist eine starke Abhängigkeit von Absatzmärkten und Zulieferungen entstanden.

Was hat sich mit der Corona Krise geändert?

Damit hat sicher niemand gerechnet! Eine weltweite Pandemie, wie wir sie im Jahr 2020 erleben, lässt deutlich erkennen, dass diese Strategie hyperglobaler Supply Chains durchaus massive Schwächen hat und nicht bedingungslos für die Zukunft taugt. Ein COVID 19 Virus, nicht mal mit bloßem Auge sichtbar, sprengt Lieferketten und zwingt Firmen, ihre Werke wegen Materialmangel zu schließen. Die globale Welt der Wirtschaft wird aus gesundheitlichen Gründen weltweit auf einen Schlag geschlossen. COVID 19 ist global unterwegs und bedroht nicht nur unseren Wohlstand, sondern letztendlich unser Leben.

Die alten und die neuen Industrienationen stellen fest: Diese Pandemie ist wie ein weltweiter Krieg und hält sich nicht an Landesgrenzen. Politische Entscheidungen müssen und mussten über die wirtschaftlichen gestellt werden. Komplexe und fragile Strukturen brechen zusammen.

Supply Chain muss von heute auf morgen neu gedacht werden. Sicherheit, Vermeidung von Abhängigkeit von einer Lieferquelle und vor allem Liefertreue mit entsprechend hoher Qualität rücken noch mehr in den Fokus der Planer als bisher. Die Frage taucht auf „wie soll das bitte geschehen…?“.

Wie wird es weitergehen?

Um aus dieser Krise unsere Lehren zu ziehen und auch in der Zukunft verantwortungsbewusst und erfolgreich zu sein, bedarf es angepasster Wege. Ich denke es muss nicht diskutiert werden, was falsch gelaufen ist. Jeder wird wissen was es bedeutet, global den weltweit besten Preis erzielen zu müssen. Zwar ist die Lieferfähigkeit durch Verträge abgesichert, aber was nützt das in einer solchen Situation? Ein Stillstand verschlingt sehr hohe Summen an Kapital. In der Regel werden Lieferanten für einen Bandstillstand zur Kasse gebeten, aber bei einer weltweiten Krise gewinnt letztlich nur der, der eine funktionierende angepasste Lieferkette besitzt.

Die Lehre aus dieser Pandemie kann nur sein, dass zukünftig eine Absicherung der Lieferverfügbarkeit einen deutlich höheren Stellenwert bekommen muss. Dies wird sicher nicht immer kostenneutral sein.

Strategie muss sein, Produkte in unterschiedlichen Fertigungen, auf verschiedenen Kontinenten und Ländern mit den gleichen Prozessen und Maschinen zu fertigen. Bisher galt es, Single Source Teile zu vermeiden, vielleicht gilt es in Zukunft, Lieferanten mit Single Source Fertigungen zu meiden.

In meiner langjährigen Tätigkeit als Interim Manager musste ich leider mehrfach erleben, dass Entscheidungen einzig und allein auf Basis günstiger Produktpreise getroffen wurden. Speziell im Bereich Elektronik und Mechatronik werden Lieferanten nominiert, die Fertigungsstätten in fernen Ländern haben, aber aktuell noch gar nicht in der Lage dazu sind, Produkte zu liefern. Preisversprechen werden mit der Intention abgegeben, auf Basis einer partnerschaftlichen Entwicklung beider Unternehmen das auserkorene Werk mit diesem Produkt zu qualifizieren. Automotive Know-how wird verkauft gegen einen guten Preis über die Laufzeit. Der Aufwand, einen Lieferanten so zu entwickeln, dass Qualität und Performance für Automotive Ansprüche zufriedenstellend funktionieren, steht dabei in der Regel in keinem Verhältnis zum Benefit.

Wir wollen die Globalisierung nicht abschaffen. Wir müssen aber sicher zur Kenntnis nehmen, dass die Welt nach der Krise eine andere geworden ist und dass speziell in der Beschaffung Anpassungen an die Auswahl von Lieferanten getroffen werden müssen.

  • Lieferantenauswahl:
    • Ein Automotive Lieferant sollte in der Lage sein, Fertigungsprozesse im Ernstfall kurzfristig auf andere Werke in der Welt zu verlagern. Der Aufwand hierfür darf aber nicht einer neuen Qualifizierung gleichkommen und der Alternativstandort muss vorher freigefahren werden.
  • Lieferantenmanagement:
    • Es ist nicht nur der direkte Lieferant zu betrachten, sondern auch die Risiken von dessen Lieferkette, woher er seine Vorprodukte und Rohstoffe bekommt. Und auch die Liquidität und finanzielle Leistungsfähigkeit der Lieferanten ist permanent zu beobachten.
  • Regionale Nähe:
    • Schlüssellieferanten sollten mindestens eine Fertigung in der regionalen Umgebung zur Verfügung stellen können. Regional bedeutet hier, dass der Zugriff ohne Weltreise möglich ist.
  • Bündelung von Stückzahlen:
    • Das Bündeln von Stückzahlen, speziell im Automobilen Umfeld, ist kaufmännisch ein wichtiger Faktor zur Preisfindung. Hier muss darüber nachgedacht werden, wie das Risiko besser verteilt werden kann.
  • Supply Chain Kosten:
    • Eine Supply Chain richtig zu kalkulieren bedeutet spätestens seit CORONA auch, ein Risiko der Nichtbelieferung zu bewerten und mit einzukalkulieren.

Die alte Schule des Einkaufs – Erhöhung der Fertigungstiefe in den Unternehmen, Überdenken und Treffen von „make or buy“ Entscheidungen, Aufbau nachhaltiger Lieferantenstrukturen und regionaler Redundanzen sind in meinen Augen ein Schlüssel zum Erfolg. Letztendlich müssen wir es schaffen, wieder aus dem Würgegriff absoluter Abhängigkeiten zu entkommen.

Bei all diesen Maßnahmen können Interim Manager wertvolle Arbeit leisten, da sie unabhängig von internen Zwängen mit sogenanntem Hubschrauberblick und der Erfahrung aus vorhergehenden Projekten überkommende Strukturen kritisch hinterfragen und entsprechend handeln.

Die zentrale Frage wird sein: Sind wir bereit den Umbau für eine sichere und nachhaltige Wirtschaft zu leisten oder tun wir dieses Ereignis als einmalig ab? Ein „weiter so“ kann es in meinen Augen nicht geben! In unserem Bewusstsein sollte deutlich werden, dass COVID19 nicht der erste und sicher auch nicht der letzte Virus ist, der uns überfällt! In einer globalen Welt sind Viren und Wettbewerb immer global unterwegs.

Über den Autor

Rigo Maier ist seit über 10 Jahren Interim Manager und DDIM Mitglied mit dem Schwerpunkt Einkauf und Supply Chain Management. Er gilt auch als Fachmann im Produktionsumfeld, dort war er lange Zeit als Angestellter in verantwortlichen Positionen. Die Branchen meist aus dem Umfeld Elektronik und Mechatronik in Maschinenbau, Automobil- und Medizintechnik.

Ziel seiner Arbeit ist es ein möglichst günstiges Gleichgewicht aus Leistung und Ertrag in einem Unternehmen zu schaffen. Der Eigene Anspruch, in möglichst kurzer Zeit effizienzsteigernde Ideen zu generieren und diese in die Tat umzusetzen.

rigo-maier.de

Über die Fachgruppe

Die 30 Mitglieder der DDIM.fachgruppe Automotive wenden sich an Automobil­zuliefer­unternehmen, Automobilhersteller und -importeure, Automobilhändler und -handels­­gruppen, an die Anbieter im Aftermarket und alle weiteren Mobilitäts­anbieter.
Wir werden Ihnen dabei helfen, aus der Corona Krise wieder schnell, gestärkt und zukunfts-sicher ausgerichtet in die Erfolgsspur zurückzukehren. Nutzen Sie in Ihrem Unternehmen temporär und flexibel die langjährige Erfahrung, die Umsetzungsstärke und gestandene internationale Führungs-Erfahrung unserer Interim Managerinnen und Manager!

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DDIM.fachgruppe // Automotive
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