Digitalisierung im Personalwesen für Mittelständer in der Foodbranche
Ein Beitrag zum Thema „Optimierung der Personalarbeit in Zeiten des Fachkräftemangels“ von Sandra Hoffmann und Thomas Vogel aus der DDIM.fachgruppe // Food
Aus der Reihe von Fachbeiträgen der DDIM.fachgruppe // Food von Sandra Hoffmann, Thorsten Tietze, Ulrich Späing und Thomas Vogel und einem Gastkommentar von Michael Suermann, Geschäftsführender Gesellschafter der S&S Software und Service GmbH – Borgentreich.
Die Foodindustrie muss den Mitarbeitermangel managen
„Ob in der Produktion, der Logistik, der IT oder auf der Fläche – bei Handel und Industrie fehlen immer mehr Mitarbeiter. Das Problem wird sich verschärfen, auch weil die sogenannte Babyboomer-Generation demnächst in Rente geht, geburtenschwächere Jahrgänge nachrücken und die Anwerbung ausländischer Fachkräfte schwierig bleibt.“
Britta Rosbach: 08. Januar 2020, „Diese zehn Themen werden 2020 wichtig“, Lebensmittelzeitung
Wie in vielen anderen Wirtschaftszweigen führt der Fachkräftemangel auch in der Lebensmittelindustrie (z.B. bei Fachkräften für Lebensmitteltechnik (FaLet), Elektrikern/Mechanikern etc.) zu wachsenden Problemen. Das Arbeitsumfeld mit z.B. Schichtdienst und körperlichen Belastungen schreckt eher ab. Gleichzeitig sind Food-Unternehmen oft im ländlichen Raum ansässig, wo das Arbeitskräfteangebot geringer ist. Im Konkurrenzkampf um Fachkräfte stehen sie im Wettbewerb mit Unternehmen aus margenstärkeren Branchen. Es geschieht immer wieder, dass aus einem Azubi-Jahrgang kein Handwerker für die Produktion übernommen werden kann, da diese direkt nach dem Abschluss abgeworben werden. Höheren Löhnen und Gehältern steht der intensive Konkurrenzkampf in der Lebensmittelindustrie und der preissensible LEH entgegen. Diese Umstände belasten die HR-Prozesse in Recruiting und Personalverwaltung stark.
Zeitgleich ist eine immer größere Angebotslücke bei der Suche nach erfahrenen Personalern zu beobachten. Hier soll aufgezeigt werden, wie auch mittelständische Unternehmen mittels passender Standard-Software dieser Situation begegnen können.
Digitalisierung hat Priorität
„Wer bei der Digitalisierung nicht auf der Höhe der Zeit ist, wird abgehängt, das hat die Corona-Krise mehr als deutlich gemacht.“
Britta Rosbach: 07. Januar 2021, „Diese zehn Themen werden 2021 wichtig“, Lebensmittelzeitung
Um den Anforderungen durch höhere Personalfluktuation, geringere Resonanz in der Bewerber-Zielgruppe oder wachsendem bürokratischem Aufwand durch staatliche Vorgaben trotz fehlender Fachkräfte zur Verstärkung der HR-Abteilung angemessen begegnen zu können, ist die Steigerung der Effizienz mittels geeigneter Personal-Software (wie Personio, Rexx oder Napa3, um nur einige Beispiele zu nennen) notwendig. Solche Standard-Lösungen bieten Unterstützung in den HR-Kernprozessen
- Recruiting mit Bewerbermanagement und -auswahl, Ressourcenbedarfsplanung sowie der Erstellung von Arbeitsverträgen
- Personalbetreuung von On- bis Offboarding
- Talentmanagement mit Aus- und Fortbildungsprogrammen, Personalförderung und der Organisation von Personalentwicklungsmaßnahmen
- Personalverwaltung mit digitaler Aktenführung, Erstellung Bescheinigungen, Verarbeitung von Urlaubs- und Krankheitsmeldungen etc.
- Urlaubsbeantragung im System durch die Mitarbeiter sowie Zeitnachtragungen bei fehlerhaftem Stempeln und das Eintragen diverser Abwesenheiten sowie Ändern der eigenen Stammdaten wie z. B. Nachname, Anschrift oder Bankverbindungen
Doch oft scheitern Digitalisierungsprojekte im Personalwesen, was nur zum Teil an der Software liegt. Von größerer Bedeutung ist die unzureichende Projektvorbereitung und -durchführung.
Um dem zu entgehen, empfiehlt Michael Suermann von der S&S Software und Service GmbH:
„… mit neuen Mandanten zunächst eine Projektierung durchzuführen. Im Gegensatz zu aufwendigen Pflichten- und Lastenheften orientiert sich die Projektierung an den konkreten Prozessen des Unternehmens. Es geht also um Kriterien und Anforderungen, die in den jeweiligen Prozessen gefordert sind. Die Projektierung analysiert und dokumentiert dies mit dem Blick auf die praktisch optimierte Lösung der jeweiligen Aufgabenstellung. Im Sinne der SCRUM-Technik wird der Prozess schrittweise entwickelt und die Entwicklungsphasen unterschiedlich konkret beschrieben. Bei der Softwareauswahl hilft dieser Abgleich, die geeignete Lösung auszuwählen bzw. nicht geeignete Angebote zu erkennen.“
Die Einführung der HR-Software erfolgt in drei Schritten:
Schritt 1: Definition und Bewertung der HR-Kernprozesse
Die Auswahl einer geeigneten HR-Standard-Software erfordert in der Projektierung ausreichende Kenntnisse über die Ist-Prozesse und Leistungen in der Personalabteilung. Mithilfe von Interviews, Prozessworkshops und -aufnahmen vor Ort wird eine „Prozess-Landkarte“ mit einer Stärken-/Schwächenanalyse angefertigt. Die dabei identifizierten HR-Leistungen (z.B. Einstellungen, Zeugnisse, Personalgespräche etc.) werden mit den beteiligten Mitarbeitern bewertet.
Es muss transparent werden, welche Prozesse in der Personalabteilunge kritisch (= aufwändig) und was die Treiber für ineffiziente Vorgänge (z.B. erhöhter Abstimmungsaufwand, Doppelarbeiten oder mangelnder Informationsfluss) sind?
Schritt 2: Aufstellen HR-Anforderungskatalog
Die Definition der benötigten Leistungen ist Grundlage für die Auswahl der Software. Die folgenden Punkte kennzeichnen wesentliche Auswahlkriterien:
- Wird eine integrierte Komplettlösung über alle Prozesse und Funktionsbereiche aus einer Hand (Recruiting, Personalverwaltung, Talentmanagement etc.) gesucht oder können die Prozesse so separiert werden, dass Einzellösungen die bessere Alternative sind?
- Bietet die HR-Lösung die Möglichkeit einer digitalen Personalakte?
- Wenn eine digitale Personalakte angeboten wird, sind dabei Fristenkontrolle, Zugriffsrechteverwaltung und Datenschutz etc. gewährleistet?
- Kann die HR-Software mit anderen Bereichen verknüpft werden, z.B. mit QM zwecks Archivierung von Schulungs-Zertifikaten (Hygieneschulung, Arbeitssicherheitsschulung etc.)?
- Werden die kritischen Prozesse durch die alternativen Programme unterstützt und wie sind die zukünftigen Soll-Prozesse?
- Können die Führungskräfte mit Zugriffsrechten auf Daten ihrer Mitarbeiter ausgestattet werden, damit diese bei Bedarf Zugriff auf die z. B. digitale Personalakte, Abwesenheitsdaten etc. haben?
- Kann die Zeiterfassung mit den Eckpunkten für die Entgeltabrechnung über die HR-Software laufen und wird korrekt ans Abrechnungssystem übermittelt? Wichtige Punkte sind dabei z. B. die korrekte Zuordnung von diversen Zuschlägen bzw. wenn nach Arbeitsstunden bezahlt wird, die Stundenberechnung?
- Wie viele Lizenzen werden benötigt – das macht oft den Preis aus! Können/wollen/dürfen Produktionsmitarbeiter ohne persönlichen Firmen-eMail-Account Urlaubsanträge über das System stellen oder läuft das über die jeweilige Führungskraft. Diese Überlegung muss im Vorfeld getätigt werden, da der Bedarf an Lizenzen davon stark abhängt?
- Welche Aufwandsreduzierung oder Produktivitätssteigerung wird von den verschiedenen Lösungen ermöglicht? Und welche Zeit- und Kosteneinsparung steht den jährlichen Nutzungsgebühren für die Software gegenüber – rechnet sich die Investition?
- Wird bei der Einführung der HR-Software vom Hersteller Hilfe zur Implementierung gestellt oder inwieweit muss/sollte sich um weitere externe Unterstützung durch Consultants gekümmert werden? Auch dabei sind die extra-Kosten zu beachten, die dabei entstehen.
- Können vorhandene Systeme mit der neuen HR-Software via Schnittstellen verbunden werden, um Daten auszutauschen (z. B. Zeiterfassungssystem) und kann die Inhouse-IT dies eigenständig oder müssen dafür externe Dienstleister beauftragt werden?
- Für welche Lösung bei den Systemen entscheidet man sich: Kauf oder Leasing-Cloud-Lösung?
So hatte man bei der Einführung einer HR-Software in einer großen Bäckereikette die Wahl, sich zwischen dem Softwarekauf mit einer hohen Investition und anschließend relativ niedrigen laufenden Beträgen für Serviceleistungen – oder einer Leasing-Cloud-Lösung mit einer niedrigen Installationsgebühr und deutlich höheren laufenden Kosten je nach notwendigen Tools und Nutzeranzahl zu entscheiden.
Generell können sich die Kosten der einzelnen Personalmanagement-Lösungen bei mittelständischen Unternehmen mit bis zu 600 Mitarbeitern deutlich unterscheiden. Die einmaligen Einführungskosten für Projektierung und Customizing liegen teilweise zwischen 10 und 70 T€. Die jährlichen Lizenzkosten können über 30 T€ betragen.
Die Beantwortung dieser Fragen ermöglicht eine realistische Beurteilung der Software.
Schritt 3: Change-Management
Die Nutzung einer Standard-HR-Software führt sowohl zu jährlichen Kosten als auch zu Einmalkosten bei der Anschaffung. Daher besteht ein finanzielles Risiko bei dem Scheitern des Projektes an Barrieren in der Organisation, die bei der Einführung neuer Systeme, Prozesse und Methoden im Unternehmen auftreten. Neues wird selten begrüßt. In vielen Umsetzungs- und Einführungsprojekten haben sich i.d.R. drei Arten von Barrieren gezeigt:
- Sachbarrieren: Dies ist die „niedrigste“ Hürde bei der Einführung, die leicht beseitigt werden kann. Es gibt sachliche Gründe für den Misserfolg. Dies können z.B. unzureichende Schulungen, fehlenden Arbeitsmitteln (z.B. Arbeitsplatzdrucker/-scanner etc.) oder Verbindungsabbrüche wegen unzureichender Netzstabilität sein etc.
- Prozessbarrieren: Diese treten umso häufiger auf, je mehr Fachabteilungen koordiniert einem Prozess zuarbeiten und stellen die nächsthöhere Barriere dar. Beispielsweise soll die Personalabteilung ein Zeugnis schreiben, wofür jedoch die Meldung der Vorgesetzten über die Leistung des Mitarbeiters fehlt. Eine automatische Verknüpfung der Zeugnisanforderung mit der Bereitstellung der notwendigen Informationen und Unterlagen kann Wartezeiten, Doppelarbeiten und Prozessschleifen vermeiden.
- Kulturbarriere: Wer hat den Satz „das haben wir noch nie so gemacht“ noch nicht gehört? Die höchste und hartnäckigste Hürde ist die Kulturbarriere, die nicht oder nur scheinbar an sachliche Gründe gebunden ist und eine reine Verweigerungshaltung darstellt. Diese müssen identifiziert und mit tätiger Hilfe des Managements überwunden werden, ggfs. mit disziplinarischen Maßnahmen.
Fazit: Fortschritt ist möglich
„Bleibt HR dagegen in der allgemeinen Wahrnehmung ein Dienstleister, der sich um administrative Prozesse kümmert, bleiben Zufriedenheits- und Imagewerte auch mittelfristig nur Mindestmaß. Gerade die menschenzentrierten, individuellen transformationalen Leistungen … sorgen auch dafür, dass Unternehmen sich an Veränderungen anpassen, neue Märkte erobern und Menschen mit den richtigen Kompetenzen am richtigen Platz haben.“
„Interne Kunden sehen bei HR-Services deutlich Luft nach oben“ aus Personalmagazin 09. 2021
Die Digitalisierung kann alle Tätigkeitsfelder des Personalwesens grundsätzlich verändern. Die administrativen Aufgaben werden schrittweise (teil-)automatisiert und ersetzt durch die Transformation von Routinen zu Tätigkeiten mit höheren Wertschöpfungspotenzialen.
Der Vorteil für die HR-Mitarbeiter bei der Digitalisierung liegt darin, dass die „Papierberge“ wegfallen. Teilweise können Briefe, Verträge, Bescheinigungen vom System verschickt und direkt in der digitalen Personalakte des Mitarbeiters abgespeichert werden, ohne sie vorher auszudrucken. Zumindest fällt die extra Kopie für alle Beteiligten weg.
Urlaubsanträge können von jedem Mitarbeiter im System beantragt werden und gehen per Workflow zum Vorgesetzten. Stimmt dieser zu, wird sofort der Mitarbeiter informiert und die Abwesenheit erscheint automatisch in der Zeiterfassung.
Soweit zugelassen, können Verträge digital unterschrieben werden, ohne den Unterschriftgebern mit Papieren hinterher zu laufen.
Und für die Mitarbeiter in HR ganz besonders wichtig: Sie haben durch die Digitalisierung mit ihrem Laptop immer alle Daten zugänglich – und können mobil arbeiten, von wo aus sie möchten.
Sandra Hoffmann ist Personalerin aus Leidenschaft und in allen Tätigkeiten im Personalwesen bewandert. Seit 2015 ist sie als selbständige HR-Interim Managerin und Betriebspsychologin als Personalleiterin und für HR-Projekte – u. a. für Aufbau und Strukturierung, Digitalisierung und Prozesse im Personalwesen – bundesweit im Einsatz und seit 2018 sowohl DDIM Mitglied als auch Mitglied der DDIM.fachgruppe // Food. Als Dozentin für Personalführung an Fachhochschulen und Universitäten bringt sie den zukünftigen Führungskräften bei, worauf es in ihrem späteren Berufsweg als Führungskraft ankommt.
Thomas Vogel verfügt über langjährige Restrukturierungspraxis als Interim Manager und Unternehmensberater bei mittelständischen Unternehmen und Tochtergesellschaften internationaler Konzerne bzw. Beteiligungsgesellschaften. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Geschäftsführer oder Projektleiter liegt in der Konzeption und Umsetzung von Maßnahmen zur Kosten-, Prozess- und Organisationsoptimierung in der Lebensmittelindustrie.
In den DDIM.fachgruppen haben sich Mitglieder zusammengeschlossen, die in gleichen Branchen und Funktionen oder an vergleichbaren Aufgabenstellungen und Sonderthemen arbeiten. Die Mitglieder sind auf ihren Gebieten Experten, sie tauschen ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus. Eines ihrer Ziele ist es, das Interim Management in den einzelnen Disziplinen bekannter zu machen und eine Nähe zur Industrie, zu Verbänden und zu Fachmedien herzustellen.