Aspekte des Vertrauens und Adressaten des Vertrauens | Teil 2 – Adressaten des Vertrauens
Ein Beitrag von Rudolf X. Ruter // Experte für Corporate Governance
In meiner letzten DDIM Kolumne habe ich die unterschiedlichen Aspekte des Vertrauens dargestellt und deren Bedeutung für den Interim Manager und das Unternehmen. Es gibt viele Adressaten für Vertrauen. „Immer habe ich nach dem Grundsatz gehandelt: Lieber Geld verlieren als Vertrauen. Die Unantastbarkeit meiner Versprechungen, der Glaube an den Wert meiner Ware und an mein Wort standen mir stets höher als ein vorübergehender Gewinn“, so Robert Bosch im Jahr 1921.
Wer sind die Adressaten unseres Vertrauens?
Piotr Sztompka war ebenso wie Luhmann (Reduktion der Komplexität) der Auffassung, dass sich Vertrauen auf die Lösung von komplexen, ungewissen und unsicheren Handlungen bezieht. Er identifizierte 1995 in seinem Buch „Vertrauen: Die fehlende Ressource in der postkommunistischen Gesellschaft) sieben verschiedene Adressaten / Bezugsobjekte, in die wir Vertrauen haben können (in aufsteigender Folge):
- Soziale Ordnung – sog. „allgemeines Vertrauen“ wie z.B. „Amerika ist eine großartige Gesellschaft“, YES, WE CAN etc.
- Institutionen – sog. „institutionelles Vertrauen“ in bestimmte Sphären der Gesellschaft wie z.B. die Wirtschaft, die Wissenschaft, das Bildungswesen, die Medizin, etc.
- Experten – sog. „technologisches Vertrauen“ wie z.B. in das Transportsystem, in die Telekommunikation, in das Finanzsystem. Das technologische Vertrauen bezieht sich also nicht auf den Experten als Person oder seiner Position, sondern auf die Rolle die jemand im System hat, z.B. der Investment Banker, der Interim Manager, der Politiker etc.
- Organisationen – sog. „Organisationsvertrauen“ wie z.B. in eine bestimmte Vereinigung, in eine Regierung, Universität, Krankenhaus und in ein bestimmtes Unternehmen etc.
- Produkte „kommerzielles Vertrauen“ wie z.B. in einen Warentyp wie Chardonnay, Öko Müsli, Made in Germany, FIAT 500 etc.
- Positionen – sog. „Positionsvertrauen“ wie z.B. in „meinen“ Chef, „den“ Arzt, „den“ Richter, dieser “ Priester“, „dieser“ Kollege die ich alle zu kennen glaube etc.
- und schlussendlich Personen – „persönliches Vertrauen“ in Individuen, die ich im Einzelfall gar nicht persönlich kenne wie z.B. Pabst Franziskus, Pep Guardiola, Gerhard Cromme, Angela Merkel, Edward Snowden, etc.
Nach Anthony Giddens „ist die Konsequenz der Modernen, dass der Einzelne das System nicht mehr komplett versteht“. Der Einzelne muss auf die Funktionsfähigkeit des Systems vertrauen, d.h. der Mensch vertraut heute vielmehr in Systeme als er in einzelne Personen vertraut. Zum Beispiel vertraue ich dem Vermögens- und Versicherungsberater nicht deshalb, weil ich um seine private Integrität Bescheid weiß, sondern weil er in der Rolle des Experten für Finanzgeschäfte steckt. Würde ansonsten seine Arbeit gebende Bank/Versicherung ihn an diesem Platz mit dieser Verantwortung beschäftigen?
Investiere in Vertrauenswürdigkeit
Es gibt kein Patentrezept für nachhaltige Unternehmensführung. Wohl aber lassen sich Grundprinzipien benennen, deren Beachtung die Chancen verbessern, sie zu realisieren. Ein solcher Chancen-Verbesserer hat Andreas Suchanek 2012 genannt „Investiere in Vertrauenswürdigkeit!“ Investieren in Vertrauenswürdigkeit bedeutet, wesentliche Grundlagen nachhaltiger Wertschöpfung zu sichern, indem die Einhaltung der vielfältigen Versprechen gegenüber aller Adressaten, die seitens eines Unternehmens oder Netzwerks im Alltag gemacht werden, so organisiert wird, dass relevante Inkonsistenzen vermieden werden.
Und das beginnt damit, dass man das Bewusstsein aller Mitglieder des Unternehmens dafür schärft, das die Formulierung von Versprechen ein Instrument nachhaltiger Unternehmensführung ist, dass in seiner Bedeutung leicht unterschätzt werden kann. Wir müssen zurückkehren zum „ehrbaren Kaufmann“, zum „Handschlag“ und zum „geraden, tiefen Blick in die Augen“ unserer Vertragspartner.
Versprechen einhalten zum Wohl der Menschen
Die Vertrauenswürdigkeit eines Unternehmens misst sich an der Verlässlichkeit den Wirtschaftspartnern gegenüber. Verlässlichkeit ist das Einhalten von mündlichen und schriftlichen Versprechungen wissend, dass man im Alltag sehr viel mehr Versprechen abgibt, als einem in der Regel bewusst ist („ich melde mich wieder“).
Die Stakeholder eines Unternehmens wie Eigentümer und Anleger, Lieferanten und Kunden, Belegschaft und Gewerkschaft, Öffentlichkeit und Wissenschaft etc. erwarten die Einhaltung der unternehmerischen Versprechen. Nicht nur Investoren fragen, welchem Unternehmen kann man vertrauen, dass es das Unternehmen auch in Zukunft noch gibt, dass es weiterhin gefragte und risikofreie Produkte produziert, dass es Arbeitsplätze bereitstellt und zum Wohlstand unserer Gesellschaft beiträgt. Kurzum: Welche Unternehmen können Chancen und Risiken am besten nachhaltig nutzen?
Welche zukunftsfähige und vertrauenswürdige Unternehmensführung ist hierfür der Garant und Hüter? Das „Leitbild für wirtschaftliches Handeln in der Wirtschaft“ fasst es wie folgt zusammen: “Eine leistungsfähige und nachhaltige Wirtschaft verlangt Investitionen der Unternehmen: in Verantwortungsbewusstsein, Bildung, Chancengleichheit und damit in gesellschaftliches Vertrauen. Langfristig wird die Wirtschaft ihre gesellschaftliche Rolle nur dann wahrnehmen können, wenn viele die Überzeugung teilen: Eine verantwortlich handelnde Wirtschaft fördert das Wohl der Menschen“. Oder wie Werner von Siemens es prägnanter sagte: „Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht“.
Vertrauen hat seine Grenzen
Vertrauen ist grundsätzlich riskant. Selbst ausgeklügelte Compliancesysteme ändern daran nichts. Vertrauen ist deshalb immer riskant, weil es immer nur auf die Zukunft gerichtet ist. Genau wie ein Kredit riskant ist, weil man darauf vertraut, dass man seinen gegebenen Vorschuß nicht zurückbekommt. Man läuft Gefahr auf Kosten der Zukunft zu leben, wenn man sein Geld / seinen Vorschuss nicht zurückbekommt.
Nachhaltigkeit bedeutet, nicht auf Kosten der Zukunft zu leben. Eine nachhaltige und zukunftsfähige Unternehmensführung muss dazu beitragen, dass Vertrauen (wieder) zu gewinnen, und zwar in einem richtigen Maß, denn zu viel Vertrauen ist wie bitter in der Finanzkrise gelernt, auch nicht zielführend. Jeder kann dazu beitragen. Jeder kann nachhaltig sein. Jeder muss wieder Vertrauen haben und Vertrauen geben. Jeder muss intensiv und schnell daran arbeiten, dass auch und gerade in seine eigene Person wieder mehr vertraut wird.
Rudolf X. Ruter, ist Wirtschaftswissenschaftler, Autor, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Finanzexperte im Sinne des AktG und Unternehmensberater und gilt als einer der anerkanntesten Fachexperten für das Thema Corporate Governance in Deutschland. Er ist derzeit u. a. Mitglied der Expertenkommission des Deutschen Public Corporate Governance – Musterkodex und Mitglied des Beirats Financial Experts Association e.V. (Berufsverband für Aufsichtsräte), der Beiräte Baden-Württemberg und Mitglied der Deutschen Digitalen Beiräte. Er hat zahlreiche Publikationen u. a. zum Thema Nachhaltigkeit, Corporate Governance, Compliance, Aufsichtsrat/Beiräte und Unternehmensführung veröffentlicht und moderiert den zweiwöchigen Livestream / Video / Podcast „Aufsichtsrats-Talk“ bei Directors Academy.
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