Aspekte des Vertrauens und Adressaten des Vertrauens | Teil 1 – Aspekte des Vertrauens

Ein Beitrag von Rudolf X. Ruter // Experte für Corporate Governance

Unternehmenskrise ist oft auch eine Vertrauenskrise

Eine Unternehmenskrise, zu deren Lösung oft ein externer Interims Manger eingestellt wird, ist oft auch eine „Vertrauenskrise“.  Jeder von uns hat schon mindestens einmal in seinem Leben „seine“ Vertrauenskrise in seinem privaten Umfeld erlebt und überstanden. Unternehmenskrisen und Vertrauenskrisen sind Krisen mit ähnlichen Charakteristiken: Beide Krisen haben die Zukunft als Referenzpunkt – nicht die Gegenwart! D.h. Vertrauen ist ein Vorschuss derart, dass man in der Zukunft nicht enttäuscht wird.  Es geht in einem sehr hohen Maße um Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Zukunft. Um Vertrauen in die Führungsqualitäten der Führungskräfte, in die Strukturen des Systems, Vertrauen in die Produkte und in das Unternehmen. Kredite sind z.B. nichts anderes als ein Zahlungsversprechen in die Zukunft – also Vertrauen derart, dass man in der Zukunft nicht enttäuscht wird.

Führung ist die Kunst, Menschen zu überzeugen und sie zur Gefolgschaft einzuladen, sodass sie freiwillig das tun, was ich, die Führungskraft, für das Richtige halte für mein Unternehmen. Also nicht ich „mache“ mich zum Führer, sondern meine Mitarbeiter entscheiden, ob ich ein Führer „bin“.  Ohne Gefolgschaft gab es noch nie eine erfolgreiche Führung.

Führung muss authentisch und zukunftsfähig sein

Führungsverhalten muss also klar, konsequent, nachvollziehbar und authentisch sein. Nur durch dieses Verhalten wird Vertrauen aufgebaut und gelebt. Ein Führer muss für sich und für das Unternehmen Verantwortung übernehmen. Sein Führen muss zukunftsfähig sein. Zukunftsfähige gelebte Führung schafft Vertrauen und hilft dem Unternehmen erfolgreich und nachhaltig zu sein. Nachhaltige Unternehmensführung ist ein langfristiges, wertebasiertes und gegenüber Menschen und Umwelt Verantwortung forderndes, gelebtes Konzept, das auf Vertrauen beruht. Gerade der Interims Manager mit seinem „vergangenheitsfreien“ Blick auf das Unternehmen und seinen zahlreichen Erfahrungen aus anderen Unternehmen kann seinen Managementkollegen hierbei ein effektiver Navigator sein.

Zukunftsfähige Führung ist die Führung, die andere befähigt, die Zukunft eines Unternehmens erfolgreich zu gestalten, indem sie das Bewährte bewahrt und den Veränderungen so anpasst, dass es seine gestalterische Kraft in den Veränderungen behält und entwickelt. Zur klaren zukunftsfähigen Führung gehört aber auch nicht immer die passende Antwort parat zu haben, sondern die richtigen Fragen zu stellen. Und zur glaubwürdigen Führung gehört bisweilen, gerade in diesen Tagen, auch zu sagen, wo ich keine Rezepte habe. Das ist immer noch viel mehr Führung als zu schweigen und gar nichts zu tun, oder aber so zu tun, als wüsste ich alles.  Im Englischen würde man sagen, das ist kein Leadership, das ist Misleading.

Aspekte des Vertrauens

Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann hat 2000 in seinem Buch „Vertrauen: ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität“ auf folgende vier Aspekte des Vertrauens hingewiesen:

1) Vertrauen ist die Reduktion von Komplexität

Im Laufe der Zeit ist eine große Zunahme der Möglichkeiten in all unseren Lebensbereichen beobachtbar. Nicht nur in unternehmerischen Entscheidungsprozessen sind immer viele Handlungsalternativen möglich. Hier wirkt Vertrauen wie eine Art „Lösung zur Reduktion der Komplexität“. Ohne Vertrauen in die Welt würden wir morgens gar nicht aus dem Bett steigen. Ohne Vertrauen gäbe es gar nicht die Komplexität der Moderne. Ohne Vertrauen könnten wir nicht so umfangreich handeln, wie wir es stets und überall tun.

2) Vertrauen ist immer auf die Zukunft gerichtet:

Vertrauen befasst sich mit der Vergegenwärtigung der Zukunft und nicht etwa mit der künftigen Gegenwart – auf das was sofort kommt, müssen wir nicht vertrauen – sehr wohl auf das, was nächstes Jahr kommen sollte. Das bedeutet z.B., dass wir in gegenwärtige Politiker kein Vertrauen haben können; sehr wohl ab er in die Politiker im nächsten Jahr (hoffentlich). Vertrauen ist stets in die Zukunft gerichtet. Man kann kein Vertrauen in die Vergangenheit haben. Der Mensch hat seine Erfahrungen zwar in der Vergangenheit gemacht, die die heutige Vertrauensbereitschaft prägen, aber Vertrauen selbst  hat man immer nur auf noch Kommendes / Zukünftiges.

3) Vertrauen ist immer eine riskante Vorleistung:

Vertrauen ist nicht nur eine Folgerung aus der Vergangenheit, sondern überzieht all unsere Informationen und riskiert Vorleistungen, weil wir erwarten nicht enttäuscht zu werden. Das bedeutet Unsicherheit. Ein noch so ausgeklügeltes Compliancemanagement-, Risikomanagement- und Internes Kontroll-System kann uns hierbei die Unsicherheit nur begrenzt abnehmen.

4) Vertrauen ist immer wählbar

Wir haben immer eine Wahl in unseren Entscheidungen. Falls keine Wahl zwischen Vertrauen und Misstrauen bestehen würde, würde es sich nur um Hoffnung handeln (und die stirbt bekanntlich zuletzt, aber sie stirbt auch). Man sagt deshalb auch „Vertrauen / Nicht vertrauen“ ist eine „Entweder / Oder“ Entscheidung und keine „Regel / Ausnahme“ Entscheidung. Die Finanzmarktkrise und deren zahlreichen Versuche der Lösung haben zum Beispiel gezeigt, dass Vertrauen „nicht käuflich ist“. Vertrauen lässt sich nicht einfach anordnen.

Vertrauenskapital

Vertrauen ist die subjektive Überzeugung (auch Glauben) von der Richtigkeit, Wahrheit bzw. Redlichkeit von Handlungen, Einsichten und Aussagen eines anderen oder von sich selbst (Selbstvertrauen). Das Gegenteil ist Misstrauen. Oder wie Jean Paul Getty es formulierte „Wenn man einem Menschen trauen kann, erübrigt sich ein Vertrag. Wenn man ihm nicht trauen kann, ist ein Vertrag nutzlos“. Das Vertrauen in ein Unternehmen wird nicht umsonst als „Vertrauenskapital“ bezeichnet und das Fehlen in der Bilanz hat gelegentlich eine größere Bedeutung als das Fehlen von Eigen- und/oder Fremdkapital. Oder um den US-amerikanischen Schriftsteller Henry Louis Mencken zu zitieren: „Vertrauen ist das Gefühl, einem Menschen sogar dann glauben zu können, wenn man weiß, dass man an seiner Stelle lügen würde“.

Rudolf X. Ruter, ist Wirtschaftswissenschaftler, Autor, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Finanzexperte im Sinne des AktG und Unternehmensberater und gilt als einer der anerkanntesten Fachexperten für das Thema Corporate Governance in Deutschland. Er ist derzeit u. a. Mitglied der Expertenkommission des Deutschen Public Corporate Governance – Musterkodex und Mitglied des Beirats Financial Experts Association e.V. (Berufsverband für Aufsichtsräte), der Beiräte Baden-Württemberg und Mitglied der Deutschen Digitalen Beiräte. Er hat zahlreiche Publikationen u. a. zum Thema Nachhaltigkeit, Corporate Governance, Compliance, Aufsichtsrat/Beiräte und Unternehmensführung veröffentlicht und moderiert den zweiwöchigen Livestream / Video / Podcast „Aufsichtsrats-Talk“ bei Directors Academy.

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