Marktwirtschaft im Fokus: Wir misstrauen den Märkten und überschätzen den Staat.

Ein DDIM Interview mit Prof. Dr. Stefan Kooths, Keynote Speaker beim DDIM.kongress // 2025

Im DDIM Interview warnt Prof. Dr. Stefan Kooths, Direktor am IfW Kiel, vor strukturellen Blockaden in der deutschen Wirtschaftspolitik. Er kritisiert tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber Marktmechanismen, Überregulierung und fehlende Reformbereitschaft – insbesondere in Bereichen wie Arbeitsmarkt, Wohnungsbau und Energiepolitik. Auch nationale Alleingänge beim Klimaschutz und die Rolle der EU stehen zur Debatte. Warum Vertrauen in marktwirtschaftliche Prozesse zentral ist, erläutert der renommierte Ökonom im Gespräch.

Herr Prof. Dr. Kooths, Deutschland steckt in der tiefsten Rezession seit 20 Jahren. Kann man das inzwischen als „strukturelle Wachstumsschwäche“ bezeichnen?

Ja. Zwar wird die Lage derzeit zusätzlich durch außenwirtschaftlichen Gegenwind verschärft, doch allein damit könnten wir umgehen. Die eigentliche Ursache der andauernden wirtschaftlichen Schwäche liegt in strukturellen Problemen. Deshalb ist es so wichtig, konjunkturelle Stimuli und tatsächliche Wachstumskräfte klar voneinander zu unterscheiden. Nicht jede Schwankung des Bruttoinlandsprodukts ist ein Wachstumseffekt.

Wie groß ist der Anteil hausgemachter Probleme an der Wachstumsschwäche?

Eine genaue Zahl kann ich Ihnen nicht nennen, aber klar ist: Ein großer Teil der Probleme ist hausgemacht. Und das ist zugleich die gute Nachricht, denn wir können sie selbst lösen. Deutschland steht im internationalen Standortwettbewerb. Die Qualität unserer eigenen Standortfaktoren wird nicht von außen bestimmt. Natürlich spielt die EU-Ebene eine Rolle, aber dort hat sich Deutschland in den vergangenen Jahren oft enthalten, weil man sich intern nicht einig war. Dadurch konnten wichtige, marktwirtschaftliche Positionen nicht mehr durchgesetzt werden, erst recht seit dem Brexit. Wir haben zu lange zugesehen. Insofern tragen wir auch für Entscheidungen auf EU-Ebene Verantwortung und können die Probleme nicht einfach auf die anderen Mitgliedsstaaten abwälzen.

Sie betonen, dass Fehlentwicklungen meist auf gestörte Koordinationsmechanismen zurückgehen. Wo sehen Sie derzeit die größten Koordinationsdefizite in der deutschen Wirtschaftspolitik?

Unser grundlegender Koordinationsmechanismus ist das Marktsystem. Was uns immer wieder blockiert, ist ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber Marktprozessen. Das führt in vielen Bereichen zu Überregulierung, etwa auf dem Wohnungsmarkt, wo der stark ausgeweitete Bestandsschutz dazu führt, dass kaum noch Bewegung entsteht. Menschen bleiben in unpassenden Wohnungen, weil mit dem Umzug die Miete steigt, und Arbeitskräfte verzichten mitunter auf attraktive Stellen in anderen Städten. So blockieren wir Mobilität und lassen produktive Potenziale ungenutzt.

Ähnlich sieht es auf dem Arbeitsmarkt aus, wo komplexe Vorgaben und Bürokratie Unternehmen ausbremsen, obwohl die Marktkräfte inzwischen eindeutig zugunsten der Beschäftigten wirken würden. Statt Freiräume zu schaffen, kommen immer neue Regeln wie Tariftreuevorschriften hinzu. Und auch in der Energie- und Klimapolitik setzen wir übermäßig auf detaillierte Eingriffe, statt auf effiziente Preisinstrumente. Diese Koordinationsblockaden schwächen die Dynamik in der gesamten Wirtschaft.

Die Finanzpolitik öffnet gerade die Schleusen. Was bringen die geplanten Konjunkturprogramme für unsere Wirtschaft?

Kurzfristig sorgen die Programme für einen konjunkturellen Impuls, wie die jüngsten Prognosen zeigen. Aber die Politik sollte das nicht als Bestätigung ihrer Linie missverstehen: Die höhere Aktivität entsteht allein dadurch, dass der Staat zusätzliche Nachfrage finanziert. Problematischer ist, dass die neuen Schulden den Reformdruck mindern. Notwendige strukturelle Veränderungen, die unseren Wachstumspfad wirklich stärken würden, werden durch die erweiterten Verschuldungsmöglichkeiten noch weiter in die Zukunft verschoben. Abgesehen davon, sind die Schulden von heute die Steuern von morgen. Auch das trübt die Aussichten für den Standort Deutschland.

Welche Reformen wären entscheidend, um die Wachstumsbasis nachhaltig zu stärken?

Einen einzelnen großen Hebel wie bei der Agenda 2010 gibt es diesmal nicht. Wir stehen vor vielen Baustellen: Wohnungs- und Arbeitsmarkt, Energieversorgung und nicht zuletzt ein Staat, dessen Strukturen und Zuständigkeiten dringend modernisiert werden müssten, etwa durch eine neue „Föderalismusreform 3“. Gemeinsam ist all diesen Problemen ein grundlegendes Missverständnis der Marktwirtschaft: Fehlentwicklungen werden fälschlich dem Markt zugeschrieben, während die Steuerungsfähigkeit des Staates überschätzt wird. Deshalb brauchen wir weniger Bürokratie, weniger Regulierung und mehr Vertrauen in unternehmerische Dynamik.

Die führenden Wirtschaftsinstitute warnen vor nationalen Alleingängen beim Klimaschutz. Warum?

Klimapolitik zielt auf die Begrenzung der globalen CO₂-Emissionen – und genau darin liegt das Problem: Es ist kein ökonomisches, sondern ein politisches Koordinationsproblem. Ökonomisch wäre es simpel: Ein globaler CO₂-Preis würde wie jede andere Ressource in betriebliche Entscheidungen einfließen. Doch es fehlt der internationale Konsens. Die Idee, Deutschland müsse nur vorangehen und der Rest der Welt folge, hat sich – wenig erstaunlich – als Illusion erwiesen. Solche Vorstöße schwächen sogar den notwendigen Verhandlungsdruck. Deshalb betonen die Wirtschaftsforschungsinstitute zu Recht: Deutschlands Dekarbonisierungspolitik muss sich konditioniert an der internationalen Entwicklung orientieren. Andernfalls bleibt sie wirkungslos und führt lediglich zu Wettbewerbsnachteilen, ohne dem Klima zu nutzen.

In der europäischen Wirtschaftspolitik herrscht häufig ein Zielkonflikt zwischen Stabilität und Solidarität. Ist das aus ordnungsökonomischer Sicht überhaupt auflösbar?

Ja, dieser Zielkonflikt ist lösbar, denn er entsteht aus einem Missverständnis. Europa wird nicht stark, indem wirtschaftliche Unterschiede durch Umverteilung eingeebnet werden, sondern durch Wettbewerb um die besten Lösungen. Unterschiedliche Politikansätze in den Mitgliedstaaten ermöglichen gegenseitiges Lernen: Was sich in einem Land bewährt, können andere Staaten übernehmen; was scheitert, bleibt auf ein Land begrenzt. Dafür braucht es jedoch Dezentralität und Raum für institutionelle Vielfalt. Notwendig wäre dafür eine klare Rückkehr zu mehr Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten und weniger Vorgaben auf EU-Ebene.

Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit Deutschland in zehn Jahren wieder über Dynamik statt über Stagnation spricht?

Deutschland braucht eine umfassende Standortoffensive: bessere Bildung, eine tiefgreifende Föderalismusreform, eine Kurskorrektur in der Energiepolitik sowie weniger Regulierung auf Arbeits- und Wohnungsmärkten. Insgesamt müssen wir wieder mehr Raum für funktionierende Marktprozesse schaffen. Auch die demografische Entwicklung verlangt entschlossenes Handeln. Wir müssen Talente gewinnen, weil die heimischen Jahrgänge für die nächsten zwei Jahrzehnte feststehen. Unsere hohe Abgabenlast und ein schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis des Standorts erhöhen das Risiko der Abwanderung von Leistungsträgern. Wenn es gelingt, diese Bedingungen zu verbessern, wird Deutschland wieder attraktiver, sowohl für die eigenen Fachkräfte als auch für internationale Talente, die wir dringend brauchen.

Und zuletzt: Welches Buch möchten Sie uns empfehlen?

Bei dieser Steilvorlage muss ich meine hanseatische Zurückhaltung einmal beiseiteschieben: Ich empfehle mein neues Buch „Marktwirtschaft: Wohlstand, Wachstum, Wettbewerb“. Darin zeige ich vertieft und fundiert, was wir einer funktionierenden marktwirtschaftlichen Ordnung tatsächlich verdanken und wo die Grenzen des Interventionismus liegen.

Prof. Dr. Stefan Kooths, Jahrgang 1969, ist Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der BSP Business and Law School Berlin / Hamburg. Nach dem Volkswirtschaftsstudium und anschließender Promotion an der Universität Münster war er dort zunächst mehrere Jahre in Forschung und Lehre tätig. 2005 wechselte er in die angewandte Wirtschaftsforschung und wurde Forschungsleiter in der Konjunkturabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Seit 2010 arbeitet er für das IfW Kiel, 2014 wurde er dort Konjunkturchef.

Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen neben der Konjunkturforschung vor allem Fragen der Stabilisierungspolitik, des Geld- und Währungswesens, der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sowie der Ordnungsökonomik.

Von 2013 bis 2020 war er Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Applied Sciences Europe (Campus Berlin), seit 2020 lehrt er an der BSP Business and Law School (Campus Hamburg). Er ist Vizepräsident des Internationalen Wirtschaftssenats (IWS), Vorsitzender der Friedrich August v. Hayek-Gesellschaft und Mitglied der Mont Pèlerin Society. Stefan Kooths gehört dem Wirtschaftspolitischen Ausschuss des Vereins für Socialpolitik an sitzt im Akademischen Beirat des Liberalen Instituts (Zürich).