Transformation mit Tiefenschärfe: Wie Organisationen, Projekte und Programme wirklich Klarheit gewinnen
Eine Beitrag von DDIM Interim Manager Rüdiger König, Leiter der DDIM.fachgruppe // Projekt- und Programm-Management
- Problem: Begriffs- und Methodenvielfalt erzeugt operative Unschärfe statt Klarheit.
- Framework: Vier Bewegungen ordnen Veränderung: Execution / Exploitation, Exploration, Transformation, Sunsetting.
- Nutzen: Klarer Modus plus passender Reifegrad machen Programme und Projekte wirksamer.
Transformation ist zeitlos – Organisationen mussten sich schon immer anpassen, erneuern und weiterentwickeln. Doch heute hat diese Notwendigkeit eine neue Qualität erreicht. In einer Umwelt, die durch Veränderung geprägt ist, steigt der Druck auf Organisationen, schneller zu lernen, klarer zu entscheiden und konsequenter umzusetzen.
Rahmenkonzepte wie VUCA sind hilfreich, weil sie Orientierung bieten. Doch sie lösen eine paradoxe Dynamik aus: Je mehr Begriffe entstehen, um dynamische Umweltbedingungen zu beschreiben, desto stärker verschwimmt die Bedeutung dessen, was eigentlich zu tun ist.
Gleichzeitig werden Methoden wie Agilität, Ambidextrie, Lean, Design Thinking, OKR, Change Management oder Restrukturierung oft so verwendet, als seien sie abgeschlossene Kompetenzsysteme. Sie werden zu Etiketten, deren bloße Verwendung Veränderung suggerieren soll. Die Folge sind Missverständnisse und operative Unschärfen: gleiche Worte meinen Unterschiedliches, oder unterschiedliche Worte meinen dasselbe. Entscheidend ist jedoch nicht der Begriff selbst, sondern seine Einordnung in die Logik der Veränderung. Genau hier entsteht der Bedarf an Tiefenschärfe: Klarheit darüber, welche Bewegung erforderlich ist – und warum.
Interim Manager – ob als Chief Restructuring Officer (CRO) oder Programm- / Projektverantwortliche – kennen dieses Spannungsfeld aus der Praxis. Sie sehen, wie Begriffe Orientierung geben, aber auch verstellen können. Viele Probleme bestehen fort, weil sie zwar allen bekannt sind, aber nicht adäquat adressiert werden: aus Konfliktvermeidung, Machtlogiken, kulturellen Erwartungen oder strukturellen Blockaden. Genau hier erzeugen erfahrene Interim Manager Wirkung. Sie schaffen Klarheit, indem sie Muster sichtbar machen, Begriffe einordnen und Komplexität in handhabbare Bewegungen übersetzen.
Damit ermöglichen sie echte Veränderung – nicht nur, aber auch, die Sprache darüber.
Ohne gemeinsame Begriffsklarheit wird Transformation zur Etikette – und Programme verlieren Steuerbarkeit.
Warum Transformation heute anspruchsvoller und dringlicher geworden ist
Die Umwelt ist nicht nur komplexer geworden – sie ist unberechenbarer. Neben VUCA sind weitere Beschreibungsmodelle hinzugekommen – Hyper-VUCA, BANI, RUPT und TUNA – die unterschiedliche Facetten der heutigen Umweltkomplexität betonen: wie Instabilität, Fragilität, Diskontinuitäten, Turbulenz, Nichtlinearität.
Jedes dieser Modelle ist für sich genommen hilfreich. In Summe entsteht jedoch häufig eine Begriffsparade: Die Sprache verbreitet sich schneller als das gemeinsame Verständnis – und das wird zum Kommunikations- und Steuerungsproblem.
Obwohl diese Modelle nicht deckungsgleich sind, markieren sie gemeinsam eine Realität: Organisationen können ihre Zukunft nicht länger über lineare Planung sichern. Sie müssen adaptiv handeln – kontinuierlich und systematisch.
Doch während sich die Umwelt weiterentwickelt, bleibt die interne Sprache vieler Organisationen zurück. Begriffe überlagern sich, Erwartungen divergieren, und Methoden werden ohne klare Einordnung eingesetzt. Transformation verliert dadurch ihre operative Schärfe. Sie erscheint als modischer Begriff – nicht als grundlegende Fähigkeit, die über Zukunftsfähigkeit entscheidet.
Gerade deshalb braucht es heute eine Sprache, die Bedeutungen ordnet und Zusammenhänge sichtbar macht. Transformation ist kein Selbstzweck. Sie ist die Form, in der Organisationen auf eine anspruchsvolle Umwelt reagieren – und Programme und Projekte sind die Mechanik, durch die diese Reaktion umgesetzt wird.
Mehr Modelle erhöhen nicht automatisch Klarheit; entscheidend ist ein gemeinsamer Bezugsrahmen.
Historische Tiefe statt begrifflicher Überhitzung
Viele Ideen, die heute unter modernen Begriffen diskutiert werden, sind historisch tief verwurzelt. Adam Smith beschrieb die Balance von Spezialisierung und Anpassungsfähigkeit. Hayek verstand Organisationen als Wissenssysteme, die Signale verarbeiten müssen. Darwin identifizierte Variation und Selektion als Entwicklungslogik. Selbst die Übergangskonzepte bei Dante folgen einer Struktur, die wir heute als Transformation bezeichnen würden.
Der Punkt ist nicht Historie – sondern die wiederkehrende Logik von Variation/Selektion und Spezialisierung/Anpassung.
Diese historischen Perspektiven verleihen modernen Begriffen Tiefe. Sie zeigen: Veränderung ist kein neues Phänomen – nur die Sprache darüber ist neuer geworden. Und diese Sprache wird häufig schneller verbreitet als verstanden. Ohne Einbettung in einen klaren Bezugsrahmen verliert sie ihre Orientierungskraft.
Methoden werden erst wirksam, wenn sie dem richtigen Modus dienen.
Methoden sind wertvoll – aber nur als Werkzeuge in einer klaren Logik
Agilität, Lean, OKR, Design Thinking, Ambidextrie, Change Management – all diese Methoden sind legitim und wirksam, aber sie sind weder allumfassend noch gleichwertig einsetzbar. Sie folgen unterschiedlichen Annahmen, adressieren unterschiedliche Zeitlogiken und basieren auf unterschiedlichen Interventionsmechanismen. Ihre Unterschiede sind real und relevant.
Dennoch dienen alle einem übergeordneten Zweck:
Organisationen wirksam anzupassen – zu stabilisieren, zu erneuern oder neu auszurichten.
Probleme entstehen nicht aus Methodenvielfalt, sondern aus fehlender Einordnung. Viele Organisationen beginnen mit der Methode und erst danach mit der Frage, welches Problem gelöst werden soll.
Das ist die falsche Reihenfolge.
Wirksam ist:
Zweck → Kontext → Bewegungslogik → Methode.
Unwirksam ist: Methode → Etikett → Annahme → Zweck.
Wenn die Bewegungslogik unklar bleibt, verliert jede Methode an Wirkung.
Ein Orientierungsrahmen trennt Logiken – und verhindert, dass z.B. Exploration wie Execution geführt wird.
Die vier Bewegungen: ein Orientierungsrahmen jenseits von Methoden
Die vier Bewegungen organisationaler Dynamik beschreiben, wie Organisationen arbeiten, lernen und sich verändern.
Sie gelten unabhängig von Branche, Größe oder Struktur.
- Exploitation & Execution: stabilisieren, skalieren, Effizienz erzeugen
- Exploration: testen, lernen, Unsicherheit reduzieren
- Transformation: neu ausrichten, wenn Alt und Neu nicht mehr parallel bestehen können
- Sunsetting: bewusst beenden, reduzieren, abschichten, Ressourcen freisetzen
„Transformation“ auf zwei Ebenen
Transformation bezeichnet sowohl das übergeordnete Prinzip organisationaler Erneuerung als auch den operativen Modus struktureller Neuorientierung innerhalb der vier Bewegungen. Sie wird erst wirksam, wenn klar ist, auf welcher Ebene der Begriff angewendet wird – ein Beispiel für sprachlichen Präzisierungsbedarf.
Diese vier Bewegungen bilden keinen durchgängigen Prozess, sondern unterschiedliche Logiken. Sie erklären, warum Projekte scheitern: nicht weil Inhalte falsch sind, sondern weil sie im falschen Modus geführt werden.
Exploration unter Execution-Druck erzeugt Stress, aber keine Erkenntnisse. Transformation unter KPI-Mechanik erstarrt. Vermiedenes Beenden, das als Weiterentwicklung etikettiert wird, blockiert statt zu entlasten.
Die vier Bewegungen im Praxistest
Die Wirksamkeit von Programmen und Projekten hängt entscheidend davon ab, den jeweils richtigen Bewegungsmodus klar zu erkennen und konsequent zu führen.
Fallbeispiel: Energie-Scale-up zwischen F&E-Sprint und Industrie-Megaprojekt
Ein technologiegetriebenes Scale-up im Energiesektor verfügt bereits über erhebliche Finanzierung und betreibt ein anspruchsvolles F&E-Programm.
In fünf Jahren soll die Technologie von etwa TRL 2 auf mindestens TRL 7 entwickelt werden.
Gleichzeitig muss die Organisation heute schon die nächste Größenordnung vorbereiten: In 15 Jahren soll auf Basis der Technologie ein Großkraftwerk realisiert sein – ergänzt um ein skalierbares OEM-/Liefermodell für internationale Märkte.
Das Programm wächst also in den nächsten fünf Jahren von einigen Hundert Millionen Euro zu einem Multi-Milliarden-Megaprogramm entlang der Lieferkette.
Im Fallbeispiel laufen die vier Bewegungen nicht nacheinander, sondern gleichzeitig: TRL-Entwicklung verlangt Exploration (Lernen unter Unsicherheit), der parallele Aufbau von Strukturen verlangt Execution/Exploitation (Wiederholbarkeit, Qualität, Steuerbarkeit), und der Übergang zur Industrialisierung ist Transformation (Rollen, Entscheidungslogik, Operating Model, Lieferkette). Zugleich ist Sunsetting unvermeidlich: Pfade, Features oder Partneransätze müssen bewusst beendet werden, um Fokus und Kapital zu schützen.
Steuerung muss mit dem Reifegrad der Technologie und der Industrialisierung mitwachsen.
Reifegrad bestimmt Steuerungslogik
Gerade in solchen Scale-ups entscheidet ein passendes Reifegradmodell (Maturity Model) über Steuerbarkeit.
Nicht jede Phase verträgt dieselbe Governance: Früh dominiert Lernlogik (Hypothesen, Tests, Erkenntnisse), später dominieren Nachweis- und Replikationslogik (Qualität, Sicherheit, Zulassung, Lieferfähigkeit).
Ein robustes Programm-Design braucht deshalb mindestens zwei gekoppelte Reifegrade: den technologischen (z. B. TRL) und den industriellen bzw. lieferkettenbezogenen Reifegrad (z. B. Manufacturing-Readiness, Supply-Chain-Readiness oder vergleichbare Skalen).
Die Führungsaufgabe ist, die Steuerungsmechanik an den Reifegrad anzupassen – sonst wird Exploration wie Execution gemanagt (und erstickt) oder Execution wie Exploration geführt (und wird unzuverlässig).
Programme koppeln Zeithorizonte, Entscheidungen und Abhängigkeiten – und machen Transformation umsetzbar.
Programme und Projekte: Ableitung, Motor und Spiegel von Transformation
Programme und Projekte stehen nicht neben Transformation – sie sind die operative Form dieser Veränderung. Sie werden aus strategischen Zielen abgeleitet und übersetzen diese in umsetzbare Architektur. Sie sind der Ort, an dem Organisationen Entscheidungen konkretisieren, Hypothesen testen und Strukturen verändern.
Gleichzeitig beeinflussen Programme und Projekte Transformation selbst. Sie machen sichtbar, was funktioniert, wo Widerstand entsteht, welche Annahmen falsch sind und welche Dynamiken entstehen.
Programme sind nicht nur Instrumente der Transformation – sie sind ihr Motor.
Programme als Motor, Projekte als Hebel
„Transformation liefert den strategischen Impuls, Programme die Motorkraft und Projekte die Kolbenbewegung: Sie setzen Energie frei, erzeugen Vortrieb und machen Veränderung wirksam – oder eben nicht.“
Im Fallbeispiel wird das Programm zum Motor, weil es drei Zeithorizonte koppelt: kurzfristige F&E-Lernzyklen, mittelfristige Industrialisierungsfähigkeit und langfristige Systemrealisierung (Großkraftwerk plus internationales OEM-Modell).
Der „Motor“-Effekt entsteht nicht durch mehr Aktivität, sondern durch klare Kopplung von Entscheidungen: Welche Unsicherheit muss wann reduziert werden – und welche Fähigkeit muss dafür parallel aufgebaut werden?
Projekte wiederum sind die Hebel dieser Energie. Sie bringen Bewegung in Gang, erzeugen Ergebnisse und schaffen Evidenz. Programme bündeln Energie – Projekte übertragen sie.
Programme und Projekte müssen zudem adaptiv sein. In anspruchsvollen Umwelten verändern sich Ziele, Randbedingungen und Prioritäten permanent. Programme können transformationstreibend sein – und zugleich selbst Gegenstand von Transformation.
Die Rede von der „Project Economy“ ist Ausdruck dieser Entwicklung.
Ohne Klärungsrollen bleiben bekannte Blockaden bestehen und verlangsamen Umsetzung.
Rollen, die Klarheit schaffen
Viele Probleme in Organisationen bestehen fort, weil sie zwar bekannt, aber nicht ausgesprochen sind. Machtlogiken, kulturelle Erwartungen, Konfliktvermeidung und strukturelle Blockaden verhindern, dass offensichtliche Muster adressiert werden. Interim Manager als Projektleiter, Programmmanager oder CRO bringen eine besondere Fähigkeit mit: Sie sind nicht nur operative Entscheider – sie sind Klärungsarchitekten.
Interim Manager schaffen Klarheit, indem sie:
- Muster sichtbar machen, die intern tabuisiert oder übersehen werden
- Begriffe einordnen und semantische Verwirrung reduzieren
- Bewegungslogiken erkennen und kommunizieren
- Entscheidungen entpolitisieren
- Komplexität in handhabbare Schritte übersetzen
Mit zunehmender Automatisierung und KI wird diese Fähigkeit immer wichtiger. Operative Routine wird automatisiert – Orientierung, Priorisierung und Veränderungsgestaltung bleiben menschliche Kernkompetenzen.
Ohne gemeinsame Designlogik bleibt Steuerung situativ – statt skalierbar.
Warum wir eine gemeinsame Designlogik benötigen
Wenn Programme der Motor organisationaler Erneuerung sind, benötigen wir eine gemeinsame Designlogik, die beschreibt, wie Bewegungen abgestimmt werden und wie Transformation steuerbar wird – eine Grundlage, ohne die Programme, Projekte und Rollen ihre Wirkung nicht entfalten können. Und um diese Designlogik gemeinsam zu entwickeln, braucht es eine klare Begriffsarchitektur: eine Sprache, die Zusammenhänge sichtbar macht, Bedeutungen ordnet und Orientierung schafft. Genau diese gemeinsame Sprache ermöglicht Transformation mit Tiefenschärfe – und damit die Klarheit, die Organisationen, Programme und Projekte heute benötigen.
Tiefenschärfe ist nicht theoretisch – sie ist die Bedingung operativer Wirksamkeit. Sprache wirkt dabei nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern als Führungsinstrument, das bestimmt, wie Entscheidungen getroffen und wie Veränderungen möglich werden.
Eine gemeinsame Sprache reduziert Reibung und erhöht Umsetzungskraft.
Einladung
Lassen Sie uns gemeinsam an dieser Designlogik arbeiten. Transformation wird nicht durch neue Begriffe wirksam, sondern durch Klarheit über ihre Bedeutung. Methoden werden wirksam, wenn sie dem richtigen Zweck dienen. Programme und Projekte werden wirksam, wenn ihre Bewegungslogik erkennbar ist.
- Welche Begriffe schaffen in Ihrer Organisation Klarheit – und welche verstellen sie?
- Welche Bewegungslogiken prägen Ihre Programme und Projekte – und welche werden nur behauptet?
- Welche gemeinsame Designlogik brauchen wir, um Transformation wirklich steuerbar zu machen?
Transformation ist zeitlos. Doch erst Tiefenschärfe macht sie wirksam.
Dipl.-Kfm. Rüdiger König (www.ruediger-koenig.com) unterstützt Investoren, Hersteller und Dienstleister sowie deren Stakeholder entlang der industriellen Wertschöpfungskette der CO2-armen Energien (Fokus: Kernenergie) als Interim Manager und Executive Advisor. Er ist national und international tätig mit Schwerpunkten im Bereich Unternehmensentwicklung und Programme Management. In der DDIM leitet er die DDIM.fachgruppe // Projekt- und Programm-Management (DDIM Leaders In Projects) und ist Mitglied der DDIM.fachgruppe // Energie.
In den DDIM.fachgruppen haben sich Mitglieder zusammengeschlossen, die in gleichen Branchen und Funktionen oder an vergleichbaren Aufgabenstellungen und Sonderthemen arbeiten. Die Mitglieder sind auf ihren Gebieten Experten, sie tauschen ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus. Eines ihrer Ziele ist es, das Interim Management in den einzelnen Disziplinen bekannter zu machen sowie mehr Nähe zur Industrie, zu Verbänden und zu Fachmedien herzustellen.
Folgen Sie uns jetzt auf LinkedIn!





