Transformation mit Tiefenschärfe: Wie Organisationen, Projekte und Programme wirklich Klarheit gewinnen
Eine Beitrag von DDIM Interim Manager Rüdiger König, Leiter der DDIM.fachgruppe // Projekt- und Programm-Management
Managementbegriffe wie Transformation, Agilität, Ambidextrie, Operating Model, Change Management oder Restrukturierung sind längst mehr als Werkzeuge. Sie steuern Erwartungen, prägen Entscheidungen – und gelten als Voraussetzung dafür, komplexe Organisationen in Bewegung zu bringen. Doch gerade dieser Bedeutungszuwachs führt zu einem oft unterschätzten Problem: Diese und ähnliche Begriffe werden zunehmend als eigenständige Methoden verstanden – als geschlossene Kompetenzsysteme, die sich selbst genügen. Als Etiketten, deren bloße Verwendung Wirkung erzeugen soll.
Noch schwieriger wird es, wenn unterschiedliche Teams dieselben Worte mit unterschiedlichen Bedeutungen verwenden – oder unterschiedliche Worte für eigentlich dasselbe Phänomen. Dadurch entstehen Missverständnisse und Blindstellen. Gemeinsame Erkenntnisse bleiben ungenutzt, weil Sprache Unterschiede betont, wo tatsächlich Gemeinsamkeiten bestehen. Interim Manager kennen dieses Spannungsfeld gut. Sie erkennen schnell, wo Begriffe tatsächlich verbinden – und wo sie trennen. Wo Klarheit fehlt – und wo unausgesprochene Übereinstimmungen vorhanden sind. Als Katalysatoren machen sie unausgesprochene Muster – entstanden aus Konfliktvermeidung, Machtlogiken, kulturellen Erwartungen oder strukturellen Blockaden – sichtbar und übersetzen sie in klar operationalisierbare Transformations- oder Adaptionspfade. Sprache ist nicht Beiwerk. Sprache ist Führung.
Warum moderne Begriffe ohne historischen Resonanzraum an Wirkung verlieren
Viele der heutigen Konzepte sind keineswegs jung. Ihre Wurzeln reichen tief in ökonomische, philosophische und naturwissenschaftliche Traditionen. Adam Smith beschrieb die Spannung zwischen Spezialisierung und Anpassung. Hayek verstand Organisationen als dezentrale Wissenssysteme. Darwin lieferte das Modell inkrementeller Variation und Selektion. Dante entwarf – in einem ganz anderen Kontext – Transformation als Übergang zwischen Ordnungssystemen.
Diese historischen Perspektiven erweitern moderne Begriffe und verleihen ihnen Tiefe. Sie verhindern jene Verflachung, die entsteht, wenn Schlagworte schneller zirkulieren, als die dahinterliegenden Logiken verstanden werden.
Auch der klassische Lebenszyklus – Entstehen, Wachsen, Reife, Rückbau, Erneuerung – bleibt eine der stabilsten Erklärungsfiguren organisationaler Entwicklung. Moderne Begriffe machen diese Muster greifbarer und operationalisierbar, ersetzen sie aber nicht. Programme geraten in Schieflagen, wenn diese zyklischen Realitäten ausgeblendet werden – wenn alles wachsen soll, nichts enden darf und Projekte gestartet werden, ohne zuvor zu klären, welcher Modus angemessen ist.
Die vier Bewegungen: Ein Orientierungsrahmen, der Programme steuerbar macht
Vor diesem Hintergrund lassen sich vier Grundbewegungen beschreiben, die in jeder Organisation existieren – unabhängig von Branche oder Reifegrad. Wenn sie klar formuliert und konsistent betrachtet werden, helfen sie, Komplexität in Handlung zu übersetzen:
Exploitation & Execution: Stabilisieren, liefern, optimieren. Execution erzeugt Verlässlichkeit und Skalierung.
Exploration: Hypothesen, Experimente, Suchbewegungen. Exploration ist die Bedingung zukünftiger Geschäftsmodelle.
Transformation: Neujustierung von Identität, Struktur und Kultur – überall dort, wo Bestehendes und Neues nicht mehr parallel bestehen können.
Bewusstes Beenden (Sunsetting): Reduzieren, abschichten, freisetzen. Kein Scheitern, sondern erwachsene Führung und konsequente Fokussierung.
Programme scheitern selten am Inhalt – sie scheitern am falschen Modus. Ein exploratives Vorhaben, das unter Execution-Druck steht, liefert keine Erkenntnisse, sondern Stress. Eine Transformation, die mit KPI-Mechaniken geführt wird, erstarrt. Ein Sunsetting, das als „Weiterentwicklung“ etikettiert wird, verschwendet Ressourcen. Der Unterschied wirkt klein – die Wirkung ist enorm.
Transformation braucht Programme – und Programme verändern Transformation
Transformation gelingt nur mit Programm- und Projektmanagement. Ohne klare Architektur, Zielbild, Priorisierung und Steuerung bleibt strategische Erneuerung folgenlos.
Umgekehrt beeinflussen Programme und Projekte die Transformation selbst: Sie prägen Tempo, Richtung, Lernschleifen, Realitätsabgleich – und machen sichtbar, was strategisch trägt und was nicht.
Hinzu kommt: In einer VUCA- und zunehmend Hyper-VUCA-Welt müssen Programme und Projekte sich ständig an neue Ziele, Bedingungen und Dynamiken anpassen – selbst dann, wenn das Unternehmen gar keine systemische Transformation durchläuft. Diese operative Adaptivität ist keine fünfte Bewegung, sondern die dynamische Bedingung, unter der alle vier Bewegungen überhaupt funktionieren.
Wo der Rahmen konkret Wirkung entfaltet: Nutzen für Praktiker
Wer Programme leitet, weiß: Die größte Herausforderung ist selten die Methode. Die größte Herausforderung ist die Interpretation. Worum geht es wirklich? Welcher Modus ist angemessen? Wer muss wie geführt werden? Welche Logik braucht dieses Projekt – und welche verhindert Wirkung?
Die vier Bewegungen erleichtern genau diese Entscheidungen. Sie schärfen Steering Committees, reduzieren politisches Taktieren, ermöglichen Ressourcen-Reallokation und verhindern, dass Zombie-Projekte Energie verbrauchen. Interim Manager entfalten hier besonderen Wert: Sie erkennen Modus-Verwechslungen früh, benennen sie klar und entpolitisieren Entscheidungen, weil sie unabhängig von bestehenden Strukturen agieren.
Parallel steigt die Bedeutung von Projekten und Programmen selbst: In Zeiten polykrisenartiger Überlagerungen, disruptiver Technologien und permanenter Volatilität wirken Projekte zunehmend als Treiber von Veränderung, Agilität und organisationaler Ambidextrie. Und während Automatisierung, KI und Standardisierung Routinetätigkeiten reduzieren, wächst die Bedeutung jener Arbeit, die Menschen nur durch Projekte leisten können: kreative Gestaltung, Neuordnung, Integration, Neuaufbau. Die weltweite Bewegung hin zur Project Economy zeigt: Projektmanagement wird zu einer der universellsten Zukunftsfähigkeiten – weit über das klassische Projektgeschäft hinaus.
Sprache als operative Führungskraft – nicht als intellektuelle Übung
Sprache ist operative Infrastruktur. Klare Begriffe erzeugen klare Entscheidungen. Geteilte Bedeutungen verringern Missverständnisse. Wer den Modus erkennt, kann Führung anpassen. Interim Manager bringen jene Außenperspektive ein, die Muster sichtbar macht, die intern zwar vielen bekannt sind, aber aus Konfliktvermeidung, Machtlogiken, kulturellen Erwartungen oder strukturellen Blockaden unausgesprochen bleiben. Und sie übersetzen diese Erkenntnisse in Formen, die anschlussfähig, entlastend und operativ umsetzbar sind.
Einladung
Transformation ist kein modernes Schlagwort. Sie ist ein altes Prinzip – neu sichtbar gemacht durch die Sprache unserer Zeit. Moderne Begriffe eröffnen Denkraum, können ihn aber ebenso schnell verstellen, wenn ihre Bedeutungen unscharf bleiben.
Welche Begriffe eröffnen in Ihrer Organisation heute Klarheit – und welche verstellen sie?
Welche Bewegungen erkennen Sie in Ihren Projekten – und welche werden nur behauptet?
Dipl.-Kfm. Rüdiger König (www.ruediger-koenig.com) unterstützt Investoren, Hersteller und Dienstleister sowie deren Stakeholder entlang der industriellen Wertschöpfungskette der CO2-armen Energien (Fokus: Kernenergie) als Interim Manager und Executive Advisor. Er ist national und international tätig mit Schwerpunkten im Bereich Unternehmensentwicklung und Programme Management. In der DDIM leitet er die DDIM.fachgruppe // Projekt- und Programm-Management (DDIM Leaders In Projects) und ist Mitglied der DDIM.fachgruppe // Energie.
In den DDIM.fachgruppen haben sich Mitglieder zusammengeschlossen, die in gleichen Branchen und Funktionen oder an vergleichbaren Aufgabenstellungen und Sonderthemen arbeiten. Die Mitglieder sind auf ihren Gebieten Experten, sie tauschen ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus. Eines ihrer Ziele ist es, das Interim Management in den einzelnen Disziplinen bekannter zu machen sowie mehr Nähe zur Industrie, zu Verbänden und zu Fachmedien herzustellen.
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