Digitale Souveränität statt digitaler Kontrolle
Ein Beitrag von Communication & Human Relations-Expertin Silvia Hänig für die Hays AG
Die einst etablierte Trennung zwischen Büro und Privatleben löst sich zunehmend auf – Unternehmen richten ihre Arbeitskulturen sukzessive im Hybrid-Modus aus. Wie sich aber letztlich die Arbeitsweisen individuell einpendeln, entscheidet die Führung der Mitarbeitenden. Interimsmanager müssen sich neue Führungskompetenzen in der hybriden Arbeitswelt dementsprechend noch schneller aneignen. Communication & Human Relations-Expertin Silvia Hänig hat unter Bezugnahme der Hays-Studie „Zwischen Vertrauen und Kontrolle“ zusammengefasst, welche Skills nun in der hybriden Arbeitswelt gefragt sind.
Ganze 84 Prozent der rund 750 befragten Entscheiderinnen und Entscheider aus der Hays-Studie sind sich einig: Im Zuge des digitalen Wandels wird das ortsunabhängige Arbeiten fester Bestandteil einer neuen Arbeitswelt werden. Daher hat die Mehrheit von ihnen auch schon damit begonnen, Homeoffice-Regelungen für ihre Mitarbeitenden einzuführen. Als klarer Favorit kristallisiert sich bei den meisten Unternehmen ein Mix aus drei Tagen Büropräsenz und zwei Tagen Homeoffice heraus. Denn viele Organisationen sind momentan bestrebt, den goldenen Mittelweg zwischen den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und ihren eigenen zu finden.
Spannungsfeld zwischen Regeln und Freiräumen
Soweit der Anspruch. Die Umsetzung in die Praxis erweist sich dabei jedoch alles andere als leicht. Denn einerseits brauchen Hybrid-Modelle gewisse Regeln, an denen sich die Beschäftigten orientieren und ihre Tätigkeiten ausrichten können. Andererseits sollen diese Vorgaben wiederum flexibel genug sein, um sie auf die individuelle Arbeitssituation eines jeden Mitarbeitenden anwenden zu können. Dieser Balanceakt erfordert eine veränderte Führungspraxis. Denn kaum noch jemand kann sich eine vollständige Rückkehr in den Präsenz-Modus vorstellen, aber genau darauf waren bisherige Führungsmuster ausgelegt.
Anders ausgedrückt: Nachdem sich viele Führungskräfte in der Pandemie erst einmal auf die rein technologische Transformation, also die Digitalisierung von Prozessen, konzentrieren mussten, geht es jetzt darum, dass sie sich mit ihrer eigenen Transformation auseinandersetzen. Dazu gehört vor allem, zu lernen, in neue Rollen und Verantwortlichkeiten hineinzuwachsen.
Motivieren statt kontrollieren
Das für sich genommen ist schon eine gewaltige Aufgabe. Vor allem für diejenigen, die mit fehlender räumlicher und persönlicher Nähe zu ihren Mitarbeitenden Probleme haben (76 Prozent). Laut Erhebung versuchen sie, dieses Manko umständlich über kleinteilige Vorgaben und Kontrollen zu kompensieren. Tatsächlich lässt sich so manche Führungskraft noch tägliche Tätigkeitsnachweise per Excelliste schicken. Und nur rund ein Drittel der Führungskräfte gesteht seinen Mitarbeitenden überhaupt eigenständige Entscheidungen und Verantwortung zu.
Ohnehin hat sich der hybride Arbeitsalltag in der Coronakrise als Lackmustest für die Praxistauglichkeit unterschiedlicher Führungsstile erwiesen. Beispielsweise tendiert knapp die Hälfte der Befragten in Richtung eines partizipativ-kollaborativen Führungsstils. Diese Führungskräfte möchten motivierend von ihren Mitarbeitenden wahrgenommen werden. 52 Prozent der befragten Vorgesetzten nehmen es mit der Mitarbeiterführung hingegen lieber etwas genauer. Sie wollen nach wie vor minutiös verfolgen, wann und wo die Beschäftigten arbeiten. Fast könnte man glauben, ihnen gehe es in erster Linie um den gestrafften, gut durchorganisierten Arbeitsprozess und die Effizienzsteigerung, nicht um die Mitarbeitenden selbst.
Entlang dieser und weiterer Verhaltensweisen der befragten Führungskräfte haben die Studienverfassenden drei wesentliche Führungstypologien entwickelt: Vorgesetzte mit einem sehr stark ausgeprägten Kontrollempfinden werden als „Performance Manager und Managerinnen“ charakterisiert. Zwar setzen sie einerseits auf Motivation und persönliche Betreuung, zeichnen sich aber andererseits durch lästiges Micro-Management aus. Eine zweite, deutlich kleinere Gruppe (30 Prozent), in der vor allem Großkonzerne vertreten sind, setzt hingegen auf „Employee Empowerment“. Die Führungskräfte lassen die Mitarbeitenden an der langen Leine und reagieren auf die Pandemie mit Gelassenheit und Offenheit. Hier hat die Belegschaft viele Freiräume; Führungskräfte setzen auf Selbstständigkeit und Eigenmotivation. Die dritte und mit Abstand kleinste Gruppe (18 Prozent) setzt hingegen auf „Business as usual“ und sieht keinen Anlass, sich zu verändern.
Auch die Mitarbeitenden (1.000 befragte Personen) haben sich den Umgang mit ihren Vorgesetzten anders vorgestellt. Zwar wünschen sie sich bei der standortunabhängigen Arbeit klare Vorgaben von ihren Vorgesetzten, aber bitte ohne permanente Kontrolle. Ihnen geht es vielmehr um die Haltung der Führungsverantwortlichen. Sie brauchen das Gefühl von Sicherheit, mit ihren Aufgaben auf dem richtigen Pfad zu sein, und fordern genau deshalb einen klaren Rahmen – innerhalb dessen sie sich jedoch eigenständig und selbstverantwortlich bewegen wollen, ohne bei jeder Kleinigkeit Rücksprache zu halten oder Rechenschaft ablegen zu müssen.
Was die größte Gruppe in der Befragung, die Performance Manager und Managerinnen, offenbar noch nicht durchdacht hat: Je unvorhersehbarer Aufgabenfelder werden, desto weniger funktionieren Kontrollen. Zumal diese jegliche Eigenverantwortung und Motivation ausbremsen. Genau die aber brauchen die Beschäftigten, wenn sie nicht mehr ganz so eng im Teamverbund vor Ort arbeiten (45 Prozent).
Zwischen Vertrauen und Kontrolle: Was Führungskräfte aus der Krise gelernt haben und was Mitarbeitende von ihnen erwarten
Die letzten 18 Monate haben die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Der Wechsel ins Homeoffice, die Einführung hybrider Arbeitskonzepte und die intensive Nutzung von Videokonferenz-Tools sind für viele Unternehmen fester Bestandteil des Arbeitsalltags geworden. Inwiefern haben diese Entwicklungen zu einer veränderten Führungskultur geführt und wie nehmen die Führungskräfte selbst die neue Arbeitsrealität wahr? Antworten auf diese Fragen liefert die aktuelle Studie ebenfalls.
Beschäftigte fühlen sich austauschbar
Zwar gelang es einigen Unternehmen über digitale Tools, so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl „auf Distanz“ herzustellen. Dennoch erlebt ein nicht unerheblicher Teil der befragten Mitarbeitenden die Führung im hybriden Modus als belastend. Ihre Führungskräfte treten lediglich über digitale Kontrollen mit ihnen in Kontakt. Ein Zustand, der bei 45 Prozent das Gefühl von Austauschbarkeit erweckt. Hier braucht es seitens der Führung mehr Augenmaß und Fingerspitzengefühl. Denn wer sich nur noch als Teil des digitalen Hamsterrads fühlt und wenig Wertschätzung erfährt, wird über kurz oder lang das Unternehmen verlassen.
Wir-Gefühl sorgt für mehr Bindung
Führungskräfte tun also gut daran, dieser negativen Entwicklung frühzeitig vorzubeugen. Dabei sollten sie sich stets fragen, ob der Frust der Mitarbeitenden tatsächlich nur am Homeoffice liegt oder ob es nicht doch um die Arbeitskultur insgesamt geht. Denn wo Kolleginnen und Kollegen sich generell misstrauen, verstummt das Gespräch im Homeoffice ganz. Und wo Vorgesetzte der Devise folgen, der digitale Auftrags-Check sei Lob genug, dort stirbt die Motivation auf der Distanz erst recht. Immerhin hatten 63 Prozent der befragten Beschäftigten das Gefühl: „Wir sitzen in einem Boot und ziehen an einem Strang.“ Hier werden digitale Tools und Instrumente dafür genutzt, offen und aufrichtig den persönlichen Austausch zu stärken. Dazu gehört neben der Kommunikation zum gemeinsam Erreichten sicherlich ebenso, dass eine Führungskraft auch einmal eingesteht, selbst ratlos zu sein. „Entscheiderinnen und Entscheider, die das verstanden haben, ernten Wertschätzung und Anerkennung auf ganzer Linie, ganz ohne Kontrollen.“
Die Autorin:
Silvia Hänig versteht sich als Communication & Human Relations Expertin. Als erfahrene Managerin begleitet sie Entscheider national und international tätiger Unternehmen/NGOs dabei, in komplexen Situationen erfolgreich strategisch zu kommunizieren: Kommunikation ist für iKOM das zentrale verbindende Element für das Zusammenspiel Reputation, Wachstum und Transformation.