Prof. Dr. Günther Schuh im DDIM Interview: Deutschland sollte mehr Schweiz wagen!
Ein Interview mit Prof. Dr. Günther Schuh, Keynote Speaker beim DDIM.kongress // 2024
Wie sieht die Zukunft der deutschen Automobilindustrie aus? Im Interview gibt Prof. Dr. Günther Schuh, Keynote Speaker des DDIM.kongress // 2024, spannende Einblicke: Er beleuchtet Deutschlands Rolle als Technologieführer, die Herausforderungen der Verkehrswende und warum die Schweiz ein Vorbild sein könnte. Mit klaren Worten skizziert er Szenarien und Strategien, die den Standort Deutschland nachhaltig stärken könnten.
Herr Prof. Schuh, wird die deutsche Automobilindustrie dem Anspruch, Weltmarktführer zu sein, heute noch gerecht?
Im Hinblick auf das Produktionsvolumen ist die deutsche Automobilindustrie längst kein Weltmarktführer mehr. Wir produzieren etwa vier bis viereinhalb Millionen Fahrzeuge pro Jahr, was global betrachtet relativ wenig ist. Zwar produzieren deutsche Automobilunternehmen weltweit deutlich mehr Fahrzeuge, doch gemessen am Volumen hat China die führende Rolle am Weltmarkt schon längst übernommen.
Wenn wir Ihre Frage jedoch auf die technologische Führungsrolle umstellen, würde ich sagen: Deutschland ist weiterhin führend. Dennoch habe ich Zweifel, ob unser Land auch im Bereich der Elektromobilität sowohl Markt- als auch Technologieführer sein wird – zumindest in Bezug auf rein batterieelektrische Fahrzeuge. Aber das muss auch nicht unser Ziel sein. So wie wir uns bei der Photovoltaik auf China als Hauptproduzenten verlassen können, könnte Ähnliches für die Batterieproduktion gelten.
Tatsächlich bleibt es eine wirtschaftliche Herausforderung, mit rein batterieelektrischen Fahrzeugen langfristig profitabel zu sein. Daher halte ich es für klug, dass die deutsche Automobilindustrie trotz politischem Druck nicht ausschließlich auf batteriebetriebene Fahrzeuge setzt. Stattdessen bietet es strategische Vorteile, ein breites Spektrum an Antriebstechnologien zu bedienen – idealerweise einschließlich Wasserstoff, einem Bereich, in dem ich großes Potenzial für die deutsche Industrie sehe.
Welchen Anteil hat die Politik in der stockenden Verkehrswende?
Die Differenz zwischen „gut gemeint“ und „gut gemacht“ war selten so groß wie in der Verkehrswende. Politisch wurden richtige Ziele verfolgt, aber das Vertrauen in die Industrie war unzureichend. Dieser Vertrauensmangel ist teilweise verständlich – insbesondere nach dem Diesel-Skandal, der das Ansehen der Automobilindustrie nachhaltig beschädigt hat. Infolgedessen war es eine Zeit lang politisch heikel, sich von dieser Branche beraten zu lassen.
Ein weiteres Problem war das Fehlen klarer, zielführender Vorgaben vonseiten der Politik, die oft auf kostspielige Fördermaßnahmen setzte, anstatt ein klares Zielsystem zu kommunizieren. Die Gesetzgebung griff zu stark in den Markt ein – das Verbrennerverbot ist ein prominentes Beispiel. Dabei hätte sich der Übergang zur Elektromobilität wahrscheinlich ohnehin rasch vollzogen, unterstützt durch den natürlichen Wandel in der Nachfrage. Die Politik allerdings misstraute dem selbstregulierenden Potenzial des Marktes und setzte verstärkt auf Förderungen, die viele Menschen in die Elektromobilität lenkten, selbst wenn es in einigen Fällen nicht die ideale Lösung für deren individuelle Mobilitätsbedürfnisse war.
Wie meinen Sie das?
Für Menschen mit kurzen Fahrstrecken und moderatem Jahreskilometerstand ist das Elektroauto bereits jetzt eine kostengünstige und sinnvolle Lösung – auch ohne Förderungen. Das starke Eingreifen durch Prämien hat jedoch eine gewisse Marktzurückhaltung geschaffen, da potenzielle Käufer auf künftige Subventionen warten.
Auch die Wissenschaft spielt hier eine Rolle: Angesichts der vielen, teils widersprüchlichen wissenschaftlichen Einschätzungen zur Verkehrswende herrschte eine enorme Unsicherheit. So betrachtet fällt es schwer, die politische Entscheidungsebene allein für das schleppende Vorankommen verantwortlich zu machen – auch die Wissenschaft trug zur Verwirrung bei. Insofern sollte die Verantwortung für die stockende Verkehrswende auf mehrere Schultern verteilt werden.
Angesichts des globalen Kostendrucks: Wie realistisch ist es, die Produktion und Entwicklung in Deutschland zu halten?
Deutschland sollte mehr Schweiz wagen – also seine Rolle als Standort für globale Konzerne weiterentwickeln. Die Schweiz zeigt: Es ist möglich, hochproduktive Unternehmen zu haben, die zwar inländische Zentralen betreiben, aber international operieren. Einige deutsche Unternehmen wie Siemens oder Bayer machen das bereits. Wir sollten den Erfolg unserer Wirtschaft nicht mehr daran messen, wie viele Produktionsarbeitsplätze in Deutschland angesiedelt sind. Angesichts des demografischen Wandels und eines voraussichtlichen jährlichen Defizits von rund 700.000 Arbeitskräften pro Jahr in den nächsten zehn Jahren werden wir in Deutschland ohnehin mit einem Mangel an Arbeitskräften konfrontiert sein – nicht mit Arbeitslosigkeit. Es wird vielmehr ein Wettbewerb um Fachkräfte entstehen.
Die Schweiz zeigt, dass Innovation und Produktivität florieren, wenn Tätigkeiten mit geringerer Wertschöpfung ausgelagert und Spitzenleistungen im Inland gefördert werden. In diesem Sinne geht es beim Erhalt der deutschen Automobilindustrie nicht darum, Produktionsstätten im Land zu behalten, sondern um die strategische Ausrichtung auf Entwicklung und Innovation. Aktuelle Fälle, wie die Diskussion um mögliche Stellenstreichungen bei Volkswagen, sind oft Ausdruck interner Machtspiele zwischen Betriebsrat, Gewerkschaften und Unternehmensführung. Viele der betroffenen Mitarbeitenden hätten jedoch wenig Schwierigkeiten, adäquate neue Stellen zu finden. Für den Wettbewerb auf globaler Ebene wird Deutschland jedoch seine Produktionskosten und seine Produktivität im Blick behalten müssen, um die Attraktivität als Standort für die Wirtschaft zu sichern.
Ein Fehler war das Verbrennerverbot, das zum Verlust von Knowhow im Bereich Verbrennungsmotoren geführt hat. Viele Zulieferer und Ingenieure sind aufgrund fehlender Perspektiven ins Ausland abgewandert, insbesondere nach China. Das führt heute dazu, dass die fortschrittlichsten Verbrennungsmotoren aus China kommen. Wenn Deutschland seine Rolle als technologisches Zentrum behalten will, darf die Weiterentwicklung nicht durch einseitige Verbote eingeschränkt werden. Vielmehr sollten wir in alle Richtungen denken und den Wettbewerb der besten Ideen fördern.
Wo sehen Sie die deutsche Automobilbranche in 10-15 Jahren? Könnten Sie uns 1-2 Szenarien skizzieren?
Die deutsche Automobilindustrie wird die nächsten 15 Jahre gut bestehen und ihre Position behaupten. Der große Unterschied zwischen den etablierten deutschen Herstellern von E-Autos und vielen neuen Akteuren im Markt ist die Fähigkeit zur Profitabilität, die bislang nur wenige – wie Tesla und einige deutsche Unternehmen – erreicht haben. Tesla hat gezeigt, wie sich mit Elektroautos Gewinne erzielen lassen und einige deutsche Hersteller haben dies erfolgreich übernommen, wenngleich sie den Massenmarkt für Elektromobilität noch nicht vollständig erobert haben.
Ein Überrollen des europäischen Marktes durch chinesische Automobilhersteller ist eher unwahrscheinlich. Insbesondere bei Elektrofahrzeugen wird der Angriff chinesischer Marken vermutlich weniger stark ausfallen als oft vermutet. Wir sollten auch bedenken: Unternehmen wie Volkswagen sind keine „notleidenden“ Unternehmen, sondern arbeiten derzeit an der Optimierung ihrer Produktionsstandorte und Wertschöpfungsketten. Ein Eingreifen des Staates ist in der aktuellen Lage von VW unnötig und könnte ein falsches Signal setzen. Beispielsweise würde eine staatliche Subvention für ein profitables Unternehmen wie Volkswagen, das zuletzt 23 Milliarden Euro verdient hat, den Grundgedanken des freien Marktes untergraben und Donald Trumps Vorhaben, Einfuhrzölle zu implementieren, nur bestätigen.
Prof. Dr. Günther Schuh befasst sich als Wissenschaftler und Unternehmer mit disruptiven Innovationen, Informations- und Produktionsmanagement sowie nachhaltigen Mobilitätslösungen. Er vertritt den Ansatz, dass komplexe Zusammenhänge und systemische Innovationen eine wissenschaftliche und unternehmerische Zusammenarbeit erfordern. 2005 initiierte Prof. Dr. Günther Schuh vor diesem Hintergrund den RWTH Aachen Campus, ein Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft mit aktuell über 420 Technologieunternehmen.
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