Anja Karlshaus im DDIM Interview: Leadership neu gedacht: Trends & Erfolgsrezepte in einer sich wandelnden Arbeitswelt

Ein DDIM Interview mit Prof. Dr. Anja Karlshaus, Keynote Speaker beim DDIM.kongress // 2023

Die Arbeitswelt ist im Wandel: Was hat sich in den letzten 20 Jahren besonders spürbar verändert?

Veränderungen in der Arbeitswelt werden tatsächlich immer deutlicher spürbar. Besonders drastisch und nachhaltig hat die Covid-19 Pandemie in den letzten Jahren solche Entwicklungen beschleunigt, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Gerade diese technologischen Innovationen prägen in höchstem Maße die Transformation unserer Arbeitswelt. Einerseits manifestieren sich zunehmende Automatisierungen von operativen und manuellen Tätigkeiten, die wiederum zum Rückgang bestimmter Jobprofile bzw. ganzer Berufsfelder führen. Andererseits entstehen neue Berufsbilder. Gleichzeitig wandelt sich die Arbeitsweise in diesen neuen Berufen – weg von der Präsenz, hin zu virtuellen und hybriden Arbeitsformen mit größerer Flexibilität hinsichtlich des Arbeitsorts und der Arbeitszeit. Neue Konzepte wie Worcation, Top-Sharing und Home-Office gewinnen zunehmend an Popularität.

Neben diesen technologischen Veränderungen gibt es weitere Faktoren, darunter den demografischen Wandel, Globalisierung und Migrationskonsequenzen sowie einen spürbaren Wertewandel, welche die Arbeitswelt ebenfalls nachhaltig transformieren. Der demografische Wandel zeigt sich insbesondere durch einen zunehmenden Fachkräftemangel, der voraussichtlich 2027 seinen Höhepunkt erreichen wird. Bis 2035 werden etwa 11-13 Millionen Menschen in den Ruhestand gehen, was zu einem Mangel von etwa 4,5 Millionen Fachkräften führen wird. Die Mobilität von Arbeitskräften auf nationaler und europäischer Ebene ist in den letzten zehn Jahren aus verschiedenen Gründen stark gestiegen, was die Zusammenarbeit, Kommunikation und kulturelle Vielfalt am Arbeitsplatz beeinflusst. Die Erwartungen der Arbeitnehmenden haben sich ebenfalls verändert, wobei eine stärkere Betonung auf Work-Life-Balance, Vereinbarkeit, persönlicher Entwicklung und Wertorientierung erkennbar ist. Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen gewinnen zunehmend an Bedeutung. In einigen Bereichen hat sich die traditionelle Hierarchie in Unternehmen zugunsten flacherer Organisationsstrukturen gewandelt. Die Bedeutung von Soft Skills wie Teamarbeit, Kreativität, Problemlösungsfähigkeiten, Resilienz, Flexibilität und Kommunikation nimmt stetig zu.

Der Wandel der Mitarbeiterbedürfnisse ruft neue Führungstrends auf den Plan. Wie ist das für Führungskräfte: Kommen sie bei den ganzen Trends noch hinterher?

Auch wenn sich die Mitarbeiterbedürfnisse im Laufe der Zeit ändern und neue Führungstrends entstehen, bleibt der Kern der Führung im Wesentlichen unverändert. Grundlegende Prinzipien wie Kommunikation, Empathie, klare Zielsetzungen und die Förderung der Mitarbeiterentwicklung sind nach wie vor von zentraler Bedeutung. In der aktuellen Ära sehen sich Führungskräfte jedoch vor der Herausforderung, mit der rasanten und tiefgreifenden Transformation unserer Arbeitswelt Schritt zu halten und dabei auch bestehende Führungsleitbilder teilweise anzupassen. Es ist unerlässlich, dass Führungskräfte in einer hochtechnologisierten Arbeitswelt mit vielfältigeren Belegschaften und einem spürbaren Fachkräftemangel die aktuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden genau verstehen, um angemessen darauf reagieren zu können. Diese Anpassung erfordert eine verstärkte und individuellere Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Einzelnen sowie die Bereitschaft, sich neuen Arbeitsmodellen und Technologien zu öffnen. In diesem Kontext können z.B. Konzepte und Ansätze wie ein agiles und werteorientiertes, positives Führungsverständnis unterstützend wirken.

Agile Leadership, Positive Leadership und Values Based Leadership sind einige der diskutierten Führungstrends. Könnten Sie konkrete Beispiele nennen, wie diese Ansätze zum Führungserfolg beitragen?

Führungstrends wie Agile Leadership, Positive Leadership und Values-Based Leadership können zweifellos eine zentrale Rolle beim Erreichen von Führungserfolg spielen. Agile Führung setzt beispielsweise konsequent den Kunden bzw. die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt des Handelns und schafft dadurch auch in unsicheren Zeiten ein klares Zielbild. Die Delegation von Entscheidungsbefugnissen an die Teams und eine flachere Hierarchie stärken die Eigenverantwortung der Teammitglieder, fördern eine kollaborative Arbeitsweise und sichern durch Dezentralisierung und Vernetzung eine breitere Wissensbasis. In unsicheren Zeiten gibt es nicht mehr nur die eine Person, die alles weiß.

Zusätzlich fördert die ausgeprägte Betonung von Flexibilität, lebenslangem Lernen und Anpassungsfähigkeit, eine effektive und schnelle Reaktion auf sich ändernde Umstände sowie die Förderung von Innovationen. Positive Leadership legt hingegen einen starken Fokus auf individuelle Stärken, Potenziale und positive Verstärkung. Wenn Führungskräfte ihre Mitarbeitenden bzw. Teams dazu ermutigen, ihre individuellen Stärken zu nutzen, resultiert dies in einer spürbaren Steigerung der Mitarbeitermotivation und des Engagements. Dies trägt dazu bei, eine optimistische und unterstützende Arbeitsumgebung sowie positive Unternehmenskultur zu schaffen, die wiederum die Mitarbeiterbindung stärkt und die allgemeine Zufriedenheit am Arbeitsplatz fördert. Durch diese gezielte Ausrichtung auf das Positive wird nicht nur die individuelle Entfaltung der Teammitglieder gefördert, sondern auch das kollektive Wohlbefinden im Unternehmen nachhaltig verbessert.

Values-Based Leadership legt schließlich den Schwerpunkt auf Ethik, Vertrauen und klare Unternehmenswerte. Dies trägt zur Entwicklung von Vertrauen zwischen Führungskräften und Teammitgliedern sowie zur Stärkung der Unternehmensreputation bei. Die Ausrichtung an Unternehmenswerten führt darüber hinaus zu zielgerichteten Entscheidungen, die nicht nur kurzfristige Ziele, sondern auch langfristige strategische Ziele unterstützen und somit zum nachhaltigen Erfolg des Unternehmens beitragen. Alle diese Führungstrends sind nicht als isolierte Konzepte zu sehen, sondern können miteinander kombiniert werden, um eine umfassende und wirksame Führungsphilosophie zu schaffen.

Können Sie Beispiele aus der betrieblichen Praxis nennen, die verdeutlichen, wie Unternehmen erfolgreich auf neue Führungstrends wie Positive Leadership oder Agile Leadership gesetzt haben?

Führungsstile und -trends werden auf individueller Führungsebene praktiziert. Viele der erfolgreichen Anwendungen und Beispiele der von Ihnen gefragten Führungstrends wurden durch engagierte Führungskräfte auf Ebene von Teams oder Abteilungen initiiert.  Insofern ist es etwas herausfordernd, spezifische Gesamtunternehmensbeispiele für die Umsetzung von Positive Leadership oder Agile Leadership zu nennen. Studien betonen aber die Relevanz agiler Praktiken in der heutigen Arbeitswelt und sehen die Bedeutung agiler Führung für den Unternehmenserfolg aus den bereits oben genannten Gründen. Auch eine Reihe von Best Practices werden in verschiedenen Quellen, einschließlich meines Herausgeberwerk „Agiles HR“, beleuchtet.

Ein exemplarisches Fallbeispiel für den erfolgreichen Einsatz von Positive Leadership findet sich möglicherweise in der Geschichte der Hotelkette Upstalsboom. In einem Portfolio von 70 Hotels und Ferienwohnanlagen hat der Geschäftsführer Bodo Janssen über Jahre eine bemerkenswerte Transformation vom traditionellen Leader zum Positive Leader durchlaufen. Die Resultate dieser Umstellung umfassen bspw. eine Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit um 80 Prozent bei über 600 Mitarbeitern. Ebenso erwähnenswert ist die Reduzierung der Krankheitsquote von acht auf drei Prozent sowie die Erhöhung der Weiterempfehlungsrate auf 98 Prozent.

Natürlich gibt es auch zahlreiche andere Unternehmen, die die positiven Auswirkungen von positiver Psychologie auf den Unternehmenserfolg erleben. Die Erfolgsgeschichte von Upstalsboom ist nur ein Beispiel unter vielen und soll an dieser Stelle der Veranschaulichung der positiven Veränderungen von positiver Führungskonzepten auf unternehmerischer Ebene dienen.

Wie können innovative Führungsmodelle wie Teilzeit- oder virtuelle Führung die Effektivität von Führungskräften verbessern?

Teilzeitführung birgt tatsächlich eine Vielzahl von Vorteilen. Untersuchungen legen nahe, dass das lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodell nicht nur die Produktivität, Motivation und Zufriedenheit steigert, sondern auch einen positiven Einfluss auf die Führungskraft selber hat. Aus Unternehmensperspektive führt das Job-Sharing, eine spezifische Form der Teilzeitführung, oft zu einer verbesserten Vertretung und Erreichbarkeit sowohl für Kunden als auch intern, insbesondere während Abwesenheitszeiten. Dieser Erfolg ist das Resultat einer engen Kommunikation zwischen den beiden Tandempartnern, die wiederum einen stetigen Wissenstransfer und eine flexiblere Kapazitätssteuerung in Zeiten erhöhter Arbeitsbelastung ermöglicht.

Der wechselseitige Austausch und die gegenseitige Kontrolle fördern nicht nur Kreativität und Qualität, sondern ermöglichen auch, dass sich komplementäre Partner gegenseitig ergänzen. Dies wiederum kann zu Entscheidungen auf Führungsebene führen, die im Durchschnitt eine höhere Qualität und Akzeptanz im Team aufweisen. In altersgemischten Tandems bietet dieses Modell darüber hinaus den Vorteil, nicht nur ein innovatives und kostengünstiges Instrument für die Personalentwicklung zu sein, sondern auch Wissen im Unternehmen zu sichern. Es könnte sogar als nachhaltiges Instrument für den Übergang von Führungskräften in den Ruhestand dienen. Weitere tiefergehende Überlegungen und Diskussionen zu diesem Thema finden Sie in meinen beiden Büchern mit dem Titel „Teilzeitführung“.

Bleiben wir einmal bei virtueller Führung: Welche Herausforderungen müssen Führungskräfte bewältigen, um Teams effektiv über virtuelle Kanäle zu führen, und welche bewährten Praktiken sind dabei besonders wichtig?

In der virtuellen Führung stehen Führungskräfte vor verschiedenen Herausforderungen, die sich insbesondere seit der Covid-19 Pandemie und dem totalen Lockdown gezeigt haben. Eine zentrale Herausforderung besteht beispielsweise in der Aufrechterhaltung einer starken Teambindung, da physische Distanz die zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen kann. Es erfordert eine besonders intensive Kommunikationsstrategie, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Motivation zu schaffen. Hier wäre eine bewährte Praxis, bewusst auch informelle virtuelle Gesprächstermine zu vereinbaren und nicht nur auf der Sachebene zu bleiben. Darüber hinaus ist es im virtuellen Kontext als Führungskraft sehr viel Schwieriger, Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu vermitteln. Missverständnisse können viel schneller entstehen, wenn Informationen nicht klar übermittelt werden, und dies kann die Effektivität der Zusammenarbeit beeinträchtigen. Auch hier ist eine intensive Kommunikation essentiell.

Zusätzlich kann verstärktes isoliertes Arbeiten von Teammitgliedern zu Hause auch Auswirkungen auf den Innovationsprozess haben. Die spontane Kreativität und der informelle Austausch, die oft in persönlichen Bürogesprächen entstehen, könnten in einem rein virtuellen Umfeld beeinträchtigt werden. Um Innovation zu fördern, empfiehlt es sich daher, hybride Modelle zu implementieren, die den gezielten Austausch und gemeinsame Brainstorming-Sitzungen ermöglichen. So kann eine ausgewogene Mischung aus virtueller Zusammenarbeit und persönlichen Interaktionen gewährleistet werden, um das volle Potenzial des Teams auszuschöpfen. Neben den oben genannten Aspekten sollten Führungskräfte auch die gesundheitlichen Aspekte ihrer Teammitglieder in Betracht ziehen. Die ständige Arbeit von zu Hause aus kann zu einer erhöhten Belastung führen, insbesondere in Bezug auf die Work-Life-Balance. Es ist wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, um die physische und psychische Gesundheit der Teammitglieder zu fördern. Dazu gehören beispielsweise die Einführung von flexiblen Arbeitszeiten, die bewusste Förderung von klaren Pausen und die Sicherstellung eine adequaten Arbeitsplatzsituation auch im Home-Office.

Haben Sie abschließend noch die wichtigsten Dos und Don’ts zum Thema Führung für Interim Manager, die ja nur vorübergehend im Unternehmen sind?

Ich hätte einige Tipps für Interim Managern, die meines Erachtens wichtig sein können. Auch wenn es keinen Anspruch auf Vollständigkeit gibt und individuell andere Themen auch wichtiger sein können, so versuche ich mal an drei Dos und Don’ts:

Es ist sicherlich ratsam, aktiv am Aufbau eines weitreichenden Netzwerks zu arbeiten, das nicht nur innerhalb des Unternehmens, sondern auch divers und breit gefächert ist. Ein solches vielseitiges Netzwerk eröffnet die Möglichkeit, von verschiedenen Perspektiven und Ressourcen zu profitieren. Ebenso wichtig ist es, die individuellen Aspekte jedes Teammitglieds zu schätzen und sich trotz der vorübergehenden Anstellung aktiv am Teambuilding zu beteiligen. Ein starkes Team trägt nicht nur dazu bei, die eigenen Aufgaben reibungslos umzusetzen, sondern fördert auch ein positives Arbeitsumfeld. Darüber hinaus sollte ein Interim Manager stets langfristige Auswirkungen seiner Maßnahmen im Blick behalten. Strukturelle Veränderungen sollten auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sein, um einen anhaltenden positiven Einfluss zu gewährleisten.

Auf der anderen Seite sollten bestimmte Fallstricke vermieden werden. Eine fehlende Flexibilität in den Herangehensweisen kann hinderlich sein, da in der dynamischen Arbeitswelt Anpassungsfähigkeit von entscheidender Bedeutung ist. Ebenso ist es unklug, bestehende Strukturen und Prozesse zu ignorieren. Stattdessen sollte ein Interim Manager sich bemühen, seine Maßnahmen in die vorhandenen Abläufe zu integrieren, um Konflikte und Ineffizienzen zu vermeiden. Vergessen Sie als Interims-Manager nicht, auch während Ihrer temporären Anstellung, einen aktiven Wissenstransfer zu initiieren. Durch die Identifizierung von Schlüsselbereichen, in denen das eigene Know-how besonders gefragt ist, können Sie einen reibungslosen Übergang für Ihre Nachfolger ermöglichen. Dies stärkt nicht nur die Organisation, sondern hinterlässt auch einen positiven Eindruck Ihrer Führungskompetenz.

Letztendlich gelten aber auch hier die grundlegenden Prinzipien guter Führung und da bin ich sicher, sind Sie alle bereits sehr erfahren.

Prof. Dr. Anja Karlshaus ist seit 2008 Professorin für Allg. BWL und Personal an der CBS International Business School und leitet dort als Präsidentin die Hochschule mit derzeit sieben Standorten in Deutschland. Ne­ben Lehre und Forschung war sie insgesamt ca. 16 Jahre bei Dresdner Bank, Allianz Group bzw. Commerzbank im strategischen Perso­nal­bereich beschäftigt. Anja Karlshaus ist Mitglied in ver­schie­denen Arbeitskreisen der IHK, DIHK, Stadt Köln und des Landes NWR und als Sprecherin sowie Trainerin zu den Themenfeldern Nachhaltigkeit, Diversity & New Work tätig.