Treiber statt Getriebener – Als Leadership-Vorbild braucht es Mission, Mut und Moral.
Interview mit Prof. Dr. Rüdiger Grube
Prof. Dr. Rüdiger Grube im Interview. Anlässlich der Veranstaltung DDIM.spezial auf Schloss Solitude in Stuttgart spricht Rüdiger Grube mit Dr. Marei Strack (Vorstandsvorsitzende, DDIM e.V.) und Björn Knothe (CEO, Personalberatung division one GmbH) über Leadership in Zeiten der digitalen Transformation, werteorientierte Führung und Leadership-Vorbilder.
Knothe: Das Thema „New Work“ ist gerade in aller Munde. Als Executive Beratung spüren wir, dass der Einzug auch im Top-Management stattgefunden hat. Wie stehen Sie zu den Themen Home-Office, Sabbatical, Elternzeit, etc., auch im Top-Management Bereich?
Grube: Der Erfolg hängt von den Mitarbeitern ab, die wir in einem Unternehmen beschäftigen. Um bei der aktuellen Beschäftigungssituation die Mitarbeiter ans Unternehmen zu binden, müssen die Unternehmen ein attraktiver Arbeitgeber sein. Und die Attraktivität steigt u.a. mit dem Grad der Individualisierung der verschiedenen Arbeitsformen. Jeder Mitarbeiter hat eine unterschiedliche Lebenssituation – hat Kinder, eine angespannte finanzielle Situation oder ist alleinstehend, da gibt es noch zahlreiche weitere Themen. Je stärker man individuell auf diese Dinge Rücksicht nimmt umso größer ist die Beliebtheit eines Arbeitgebers bzw. eines Unternehmens. Wer heute als attraktiver Arbeitgeber gelten will darf sich diesen neuen Arbeitsformen also nicht verschließen.
Knothe: Sterben in den Zeiten von „New Work“ und dem Trend zum selbstbestimmten Arbeiten die Führungskräfte einfach aus und werden durch Selbstführung ersetzt? Oder hat dieser Trend gar einen Kulturverlust im Unternehmen zur Folge?
Grube: Viele glauben, dass mit dem „New Work“ Führung verloren geht. Ganz im Gegenteil: Je stärker Sie unterschiedliche Arbeitsformen zulassen, desto stärker ist auch Führung gefragt, denn Sie müssen als Leader das Team insgesamt zusammenhalten. Das wird nicht einfacher, wenn der eine im Home-Office arbeitet, der nächste im Sabbatical ist und ein dritter in Elternteilzeit. Sie wollen ja trotzdem alle in die Kommunikation mit einbeziehen.
Von daher ist der Anspruch an eine Führungskraft deutlich höher, als wenn alle in ihrem Büro sitzen und tagtäglich um 8 Uhr beginnen und um 16 Uhr nach Hause gehen. Eine heterogene Struktur bei den Arbeitsformen ist für den Leader eine eher größere Herausforderung.
Strack: Was bedeutet das denn für uns heute, was muss ein erfolgreicher Leader mitbringen?
Grube: Hier kann ich natürlich nur aus meiner eigenen Erfahrung berichten. Es kommt eine ganze Reihe von Faktoren zum Tragen. Führen heißt Entscheidungen zu treffen, dafür zu sorgen, dass sie umgesetzt werden und das Mitarbeiterteam hoch motiviert an der Umsetzung arbeitet.
Als Leader müssen sie verstehen, dass Veränderung keine Bedrohung, sondern dass Veränderung der Motor für Fortschritt ist. Zweitens, es gibt ja leider viele Führungskräfte und Leader die glauben so wie sie es immer gemacht haben muss es auch die nächsten 100 Jahre laufen. Das ist in dieser disruptiven Welt in der wir heute leben natürlich völlig falsch. Es ist wichtig, dass Sie Themen, aber auch sich selbst, selbstkritisch hinterfragen. Der dritte Punkt ist sicherlich, dass Sie heute Innovationsführer sein müssen um erfolgreich zu sein und deshalb müssen Sie als Leader Innovationen anregen. Sie müssen sie treiben und aus dem Team herauskitzeln. Und viertens, die Verantwortung übernehmen. Sie müssen ein Visionär sein. Siegen beginnt im Kopf sage ich immer. Man muss dann, wenn man eine Vision hat auch daran glauben und sie dann auch selbst vorleben. Vorbild sein ist ein ganz wichtiger Punkt im Rahmen von Leadership.
Dann kommt natürlich noch dazu, dass man mit Leidenschaft an die Themen heran geht. Man sagt ja nicht umsonst, dass wenn man alle zum Brennen bringen möchte man selbst brennen muss.
Strack: Lässt sich denn der Erfolg von Führung messen?
Grube: Hier muss man nach Hard- und Soft-Facts unterscheiden. Die Hard-Facts sind eine Planung, ein Budget und da kann man klar sagen, das ist der Umsatz, der Cash-Flow, EBIT, Marge, ROCE, usw. und am Jahresende sieht man ob diese Ziele erreicht wurden oder nicht.
Zu den Soft-Facts gehört, dass man auf die Unternehmenskultur achtet, auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter achtet, all diese Themen sind Soft-Facts. Heute können sie aus meiner Sicht
nur noch mit Emotional-Leadership erfolgreich sein. Sie müssen eine Atmosphäre schaffen können in der Arbeitnehmer sagen: Super das macht Spaß hier zu arbeiten. Das ist wie in einer Ehe. Das kennen wir alle, wenn da jeden Tag einer rum läuft mit einer miesen Laune und von morgens bis mittags kann ich ihn gar nicht ansprechen – das funktioniert nicht. Ich gestehe jedem ein, dass man mal einen schlechten Tag hat, aber nicht ständig. Und von einem Vorgesetzten verlange ich, dass er weiß, welche Verantwortung er hat, vor allem den Mitarbeitern gegenüber.
Knothe: Was wir in der Beratung ganz oft feststellen ist, dass im Top-Management die Leader und die Visionäre sind. Aber was diese oft nicht schaffen ist, das Mittlere Management mitzunehmen, die dann wiederum es nicht schaffen, die einzelnen MA zu motivieren.
Grube: Das schaffen sie nur, wenn sie zu den Betroffenen als Leader gehen. Ich habe mir beispielsweise vorgenommen 50% meiner Zeit zu den Mitarbeitern zu gehen. Ich gehe an die Basis und rede mit den Leuten. Das ist das einzige was wirklich funktioniert. Die Leute sind total erstaunt, dass man überhaupt zu ihnen kommt und ihnen zuhört. Es gibt eine ganz einfache Regel. So wie ich in den Wald hineinrufe, so schallt es auch heraus. Die Menschen, mit denen man es zu tun hat sind doch schlau, die wissen doch ganz genau, ob du das was du sagst, auch selbst lebst. Deshalb sage ich immer, nicht Wasser predigen und selbst Wein trinken.
Von einem Vorstandsvorsitzenden werden Impulse erwartet, die Sie auch klar als Signal setzen müssen. Deshalb kam es für mich auch nie in Frage, dass ich eine Sonderbehandlung bekomme und beispielsweise im Fahrstuhl Vorrang habe und alleine fahre. Ich stelle mich in der Schlange genauso hinten an wie alle anderen und warte bis ich an der Reihe bin. Sie können nicht Vorbild predigen und Vorbild selbst nicht vorleben. Ich mache auch täglich Fehler – aber Fehler sind auch eine Chance, um zu zeigen wie man einen Fehler wieder behebt. Kontinuierliche Verbesserungen und letztendlich immer wieder sich selbst den Spiegel vor die Augen halten, das ist heute verdammt wichtig.
Das schlimmste sind für mich, Führungskräfte, die eine Bugwelle vor sich herschieben, arrogant sind und meinen, sie können sich etwas einbilden nur weil sie bisher das Glück hatten, Karriere zu machen. Solche Typen kann ich überhaupt nicht ab. Down-to-Earth ist da meine Empfehlung, denn wenn die Bodenhaftung verloren geht, wird das nachhaltig den Erfolg negativ beeinflussen.
Knothe: Warum glauben Sie gibt es aktuell in den großen Konzernen und den Vorstandsetagen so viele negative Themen und vertuschte Probleme?
Grube: Sie leben immer mit der Herausforderung, auf der einen Seite die Kosten weiter zu senken, um wettbewerbsfähig zu sein. Auf der anderen Seite ist das Thema Qualität, die Sie nicht aus den Augen verlieren dürfen. Bei diesem ständigen Spagat zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Kosten im Griff zu haben, neue Technologien zu entwickeln, Regularien einzuhalten, etc. ist die Herausforderung so groß, dass die Versuchung da ist, sich nicht immer gesetzeskonform zu verhalten. Dort zeigt sich dann, wie wichtig Compliance ist und dass man sich immer wieder bewusst macht, dass heute eine werteorientierte Unternehmensführung das A und O ist.
Strack: Dazu stellt sich doch gleich die Frage: Wen hatten oder haben Sie als Vorbilder?
Grube: Ich habe viele Vorbilder gehabt. Ein ganz großes Vorbild ist Helmut Schmidt. Ich habe ihn als zehnjährigen Jungen kennengelernt als in Hamburg die große Flutkatastrophe war. Helmut Schmidt stieg aus dem Hubschrauber und sagte zu uns: Jungs und Mädels, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, eure Schule ist kaputt. Die schlechte ist, ihr müsst trotzdem hin. Danach habe ich ihn immer wieder getroffen, zum Schluss als er Aufsichtsratsmitglied bei Airbus war. Ich habe ihn selbst kennen gelernt und viele Veranstaltungen mit ihm gemacht.
Wer für mich auch ein ganz großes Vorbild ist, das ist unser jetziger Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Unternehmensführer von Familienunternehmen, wie z.B. Michael Otto Berthold Leibinger von Trumpf oder Martin Herrenknecht sind ist für mich ganz große Unternehmer und Vorbilder. Sie haben alle eines gemeinsam, sie sind bescheiden, demütig, klug, innovativ inspirierend, motivierend.
Strack: Interessant, das sind alles Familienunternehmen. Wie sieht es aus, wenn Sie an Konzerne denken, gibt es da auch Vorbilder für Sie?
Grube: Ja – zum Beispiel Jürgen Weber von der Lufthansa war für mich immer ein großes Vorbild. Tim Höttges von der Telekom zum Beispiel oder nehmen Sie Wolfgang Reitzle von Linde und Harald Krüger von BMW. Das sind für mich Menschen, bei denen ich sage, das sind Vorbilder, welche mit Konsequenz ein Unternehmen werteorientiert und nachhaltig führen.
Wer mich auch als junger Mensch immer wieder inspiriert hat, den ich aber leider natürlich nie persönlich kennen gelernt habe, ist Wernher von Braun. Er hat mich von der Technologie des Fliegens immer wieder begeistert.
Strack: Wie gehen wir mit dem Thema werteorientierte Führung heute um, angesichts der digitalen Transformation – verändert sich dadurch als Megatrend auch der Anspruch und die Art und Weise wie geführt wird?
Grube: Ich bin überzeugt davon, mehr denn je, dass Unternehmen, die keinen Wert auf Werte legen, es deutlich schwieriger im Wettbewerb haben gute Mitarbeiter nachhaltig an sich zu binden. Man muss nicht die gleichen Werte haben, aber es muss Grundwerte im Unternehmen geben. Wenn ich gewinnen will, muss ich auch auf Sieg spielen. Erfolgreiche Führung basiert auf Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit, Respekt vor allem gegenüber Menschen, Wertschätzung, Leidenschaft und Disziplin. Ein ganz wichtiger Punkt, der für mich ganz entscheidend ist, ist Loyalität. Aber Loyalität gibt es für mich nur 100% oder gar nicht.
Strack: Wenn ich jetzt mal auf unsere Branche des Interim Managements blicke. Sie haben sehr hohe Ansprüche formuliert wie sich eine Führungskraft verhalten sollte und welche Werte wichtig sind. Interim Manager wie ich, gehen in Unternehmen rein, um für eine befristete Zeit eine Aufgabe zu übernehmen. Wir müssen vom ersten Tag an arbeitsfähig sein. In aller Regel tun wir dies mit Führungserfahrung und wollen diese Führungserfahrung auch einbringen, aber nicht mit eigener Karriere und mit einem begrenzten zeitlichen Hintergrund. Haben Sie eine Empfehlung vielleicht die wichtigsten drei Dinge, die jemand tun sollte, der auf Zeit begrenzt, eine Führungsaufgabe wahrnimmt?
Grube: Das wichtigste ist erst einmal egal ob ein Interim- oder ein Vollzeitmanager, der das Unternehmen über viele Jahre führt, den Mitarbeiter anzuhören und nicht vom ersten Tag, obwohl man das Unternehmen noch gar nicht kennt, sagen wie es gemacht wird. Das ist unglaubwürdig, denn sie können u.a. eine Kultur oder auch andere Themen, auch wenn sie fachlich alles beherrschen, nicht von heute auf morgen durchdringen. Erstmal zuhören, eine gewisse Empathie entwickeln aber dann, wenn es um sachliche und fachliche Themen geht, natürlich durch Kompetenz glänzen, das ist das erste.
Das zweite ist, Ihnen als Interim Manager kommt eine viel größere Führungs-Verantwortung zu, weil sie ja in einem viel kürzeren Zeitraum Themen umsetzen müssen.
Das dritte ist, gehen sie nie in ein Unternehmen mit dem Gedanken, dass sie für die kurze Zeit auf Führungsgrundsätze keine Rücksicht nehmen müssten. Ganz im Gegenteil. Sie können eigentlich die ideale Führungskraft sein, um zu zeigen wie Führung funktioniert. (Einwurf von Dr. Strack…Weil wir keine persönlichen Interessen an Karrieren und Politik haben.) Genau, Sie können ehrlich sein, können Dinge ganz anders adressieren, Sie müssen sich nicht verbiegen.
Ich habe auch noch eine weitere Erfahrung gemacht. Mitarbeiter wollen nicht den ganzen Tag Honig um den Bart geschmiert bekommen. Im Gegenteil Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz werden heute sehr stark honoriert. Wenn man jeden Tag sagt, du bist der Größte und in Wirklichkeit denkt man etwas anderes, das bekommen die Menschen sofort mit. Es gibt für mich einen ganz einfachen Grundsatz: behandele andere Menschen so wie du selbst behandelt werden möchtest, damit kommst du verdammt weit.
Strack: Herr Dr. Grube, mittlerweile sind sie nicht nur in den Bereichen Luft, Straße, Schiene Wasser unterwegs, sondern sind auch in der Küche aktiv. Anfang des Jahres sagten Sie: „Ich will es schaffen, sieben normale Gerichte kochen zu können. Für jeden Tag in der Woche eins“. Sind Sie mittlerweile schon so weit?
Grube: (lacht) Leider noch nicht ganz. Meine Frau und ich sind momentan sehr beschäftigt, wir legen beide sehr viel Wert darauf unseren Job professionell zu machen und dort auch erfolgreich zu sein. den Anspruch noch eine neue Karriere zu entwickeln. Mein Ziel in der
Küche habe ich noch nicht aufgegeben. Vier Gerichte habe ich schon geschafft selbst zu kochen, unter anderem ein klassisches Wiener Schnitzel mit Kartoffel- und Gurkensalat.
Knothe: Wo sehen sie die Unterschiede zwischen den zwei Welten eines angestellten Managers und jetzt Ihrer Selbständigkeit?
Grube: Man arbeitet mit dem eigenen Geld, das ist schon etwas ganz anderes. Man überlegt drei Mal ob man es ausgibt oder nicht. Und wenn man es ausgegeben hat, achtet man nochmals verstärkter darauf, dass das was man investiert hat auch wieder zurück erwirtschaftet wird. Als Manager war ich lange Sklave meiner selbst und hatte nie Zeit für meine Familie. Jetzt genieße ich die Freiheit, das zu machen, wozu ich Lust habe. Ich stecke lange nicht mehr in einem so starken zeitlichen Korsett. Das genieße ich.
Ich bin glücklicherweise gesund und kann unternehmerisch etwas gestalten. Das macht mir viel Spaß, insbesondere auch, weil man materiell unabhängig ist. Wer hat dieses Glück, dass er sein ganzes Leben arbeiten darf, verantwortungsvolle Aufgaben in Top-Führungsfunktionen wahrnehmen durfte und sogar das Leben noch selbst mitgestalten kann. Also etwas Schöneres gibt es für mich nicht!
Und was mir ganz wichtig ist, etwas von dem an die Gesellschaft und den Menschen zurückgeben zu dürfen, was man selbst in Anspruch genommen hat. Deshalb engagiere ich mich als Schirmherr und Vorsitzender des Kuratoriums bei den jugendlichen Obdachlosen in Deutschland, der Off-Road-Kids-Stiftung, mit der wir in den vergangenen 10 Jahren über 6.000 Jugendliche ausgebildet und wieder in die Gesellschaft integriert haben. Das macht mich sehr zufrieden und glücklich!