Management by Christo – Was die Wirtschaft vom Künstler lernen kann

Ein Beitrag von DDIM Interim Manager Dietmar von Polenz, DDIM.fachgruppe // Automotive

Man sollte auf die Knie gehen zu Ehren der Lebensleistung von Christo und Jeanne-Claude Javacheff, die post mortem mit der Verhüllung des Triumphbogens in Paris ihre Krönung gefunden hat. Manager und Interim Manager können von beiden vieles lernen. Sie haben stets gemeinsam ihre Kunst über mehr als ein halbes Jahrhundert nach klaren kreativen Ideen und Prinzipien perfektioniert.

Als 14-jähriger bewunderte ich 1969 die Verhüllung des Amerika-Hauses in Heidelberg mit neuartigen Folien der BASF. Alte Kurpfälzer um mich herum sagten: „Oh liewe Leit, so Färz! Aus dem wird nie was!“ Warum und wie statt „Fürzen“ weltweit konkrete Riesen-Objekte durch diese Weltstars auf dem Kunstmarkt verwirklicht wurden, ist auch ein praktisch anregendes Lehrstück für Erfolgsfaktoren im Management:

1. Vision konsequent verwirklichen: Seit 1958 widmet sich Christo der künstlerischen Verpackung von Gegenständen und später Gebäuden und Landschaften. Damals 23 Jahre alt und aus Bulgarien nach Paris geflüchtet. 1962 entstand die erste Zeichnung zur Verhüllung des Arc de Triomphe, 2018 der formelle Antrag.

2. Durchhaltevermögen: Bleibe auf Kurs auch bei Widrigkeiten bis zur Armut. Bereite Deine Projekte langfristig vor. Die Ideen für die Großprojekte Verhüllung Berliner Reichstag und „Arc de Triomphe, empaqueté“ hatten zweistellige Zahlen von Jahren Vorlauf.

3. Skalierung: Fange klein an (mit verpackten Haushaltsgeräten und Bildern) und rolle die Grundidee aus zu größeren Objekten.

4. Kontinuierliche Verbesserung KVP: Lerne aus jeder Aktion dazu und verbessere die Technik hinter den Stoff-Fassaden. Die späteren Objekte hatten keine Lücken, Risse oder Beschädigungen mehr – es sei denn gewollt.

5. Private Finanzierung: Christo hat seine Werke aus dem Verkauf von Entwürfen und Werken finanziert. Kein Product Placement, keine Werbung, in den wenigsten Fällen staatliche Zuschüsse.

6. Unverwechselbarkeit der Marke: Erlange eine USP (Unique Selling Position) und betreibe für Dein Produkt eine gute Öffentlichkeitsarbeit, langfristig angelegt und die Person einbeziehend. Mit einem kurzen in vielen Sprachen einprägsamen Markennamen.

7. Lobby-Arbeit und Netzwerk: Betreibe intensive Lobby-Arbeit in der Politik und der breiten Öffentlichkeit. Aber nicht nur allein, sondern mit einem aktiv aufgebauten guten Netzwerk aus Opinion Leadern aus Kultur, Politik, Journalismus, Kunsthandel etc.

8. Bescheidenheit: Poliere stets dein Markenimage, aber bleibe im persönlichen Auftritt bescheiden, sympathisch und ansprechbar. Ohne Luxus und Statusobjekte zur Schau zu stellen.

9. Selbsterklärung der Produkte: Schaffe Produkte, die keine großen Erklärungen brauchen.

10. Kraft der Visualisierung: Bilder sagen mehr als 1.000 Worte.

11. Innovation: Mache etwas, was andere noch nicht gemacht haben. Und nutze zeitgemäße Methoden und die Standortfaktoren der Natur und der Städte.

12. Zusammenarbeit mit technischen Universitäten und Ingenieurbüros: Für die Statik der Aufhängungen der Stoffe an den Objekten haben Christo und Jeanne-Claude über Jahre mit dem renommierten Architektur- und Statik-Büro sbp Schlaich Bergermann und Partner zusammengearbeitet. Dieses steht in direkter Verbindung zu zwei Basis-Innovationen an der Technischen Universität Stuttgart aus den Fünfziger Jahren: Berechnungsmethode Finite Elemente FEM (Prof. Argyris) und Architektur „Leichte Flächentragwerke“ von Frei Otto und seinen Schülern Behnisch (Olympiadach München 1972), Sobek, Kammerer, Jörg Schlaich, … Prof. Mike Schlaich war in Paris bei den Aufbauarbeiten am Arc de Triomphe, als sein durch Turm- und Brückenbauten berühmter Vater hochbetagt starb.

13. Simulation: Nutze modernste Simulations-Tools, um Überraschungen beim Aufbau und Unfälle zu vermeiden und den Materialbedarf genau zu ermitteln. Und die Verantwortlichen von der Machbarkeit und Sicherheit zu überzeugen.

14. Digital und physical mock-up: Trotz der ausgefeilten Simulationen, einem digital mock-up und 3D-Druck Modellen durch sbp, hat Christo ein verkleinertes Modell des Triumpfbogens auf dem Bauhof der Charpentiers de Paris aufbauen und mit Originalstoff verkleiden lassen. Damit wurde die Machbarkeit (Feasibility) bewiesen, die 90 Fassadenkletterer trainiert, das Konzept zur Umhüllung des Bogens am 50 m hohen und 45 m breiten Originalgebäude bestätigt und der Durchmesser der roten Verschnürungsseile festgelegt.

15. Kurze Supply Chain: Garnherstellung, Weben der Textilien, Bedampfen der silbernen Oberfläche auf Aluminium-Basis, Zuschnitt der Planen, Planung und Anfertigung der Metall-Tragstrukturen wurden in Deutschland hergestellt ohne Länder- oder gar Kontinente übergreifende Transportwege und Kosten.

16. Deutschem Mittelstand vertrauen: Alle beauftragten Firmen sind mittelständische Betriebe, überwiegend Familien-geführt. Zum Beispiel die Technische Weberei in Emsdetten (heute Setex) meines Praktikanten und Diplomanden von 2002 Max Schilgen.

17. „Made in Germany“ vertrauen: Christo vertraute über viele Jahre und mehrere Großprojekte deutscher Technik, Engineering, Materialien und Lieferanten! Obwohl er als geflüchteter Bulgare sicher alle Möglichkeiten gehabt hätte, in slawisch sprechenden Ländern zu günstigeren Lohnkosten produzieren zu lassen.

18. Langfristige Lieferantenbeziehung: Christo und Jeanne-Claude haben über Jahre mit den gleichen bewährten Lieferanten gearbeitet. Dazu über Jahrzehnte mit dem Fotografen Wolfgang Volz.

19. Gesamte Wertschöpfungskette organisieren: Christo und Jeanne-Claude haben mehrmals Gewebebahnen für neue Projekt wiederverwendet und achteten auf die Recycling-Fähigkeit. Denke an die Umweltbilanz. Für den Arc de Triomphe wurden 25.000 m² Polypropylen-Gewebe und 7 km Seile benötigt.

20. Gleichberechtigung und Teamfähigkeit: Christo und seine Frau Jeanne-Claude haben sich immer als gemeinsames Team und gleichberechtigte Künstler verstanden, auch wenn unterschiedliche Begabungen sich ergänzten. Die Öffentlichkeit hat lange gebraucht, dies zu verstehen und gegen ihre patriarchalische Prägung zu akzeptieren, dass Jeanne-Claude nicht nur Muse und Managerin ist. Keines der Gebäude-Objekte wäre ohne die Führung eines großen Teams ergänzt mit vielen motivierten Freiwilligen vor Ort möglich gewesen.

21. Zeitarbeit und Interim Management: Beschäftige ein kleines hoch effizientes Kernteam, nutze kompetente Dienstleister für die Projektplanung und hole Zeitarbeitskräfte dazu für die Umsetzung der Kampagne einschließlich des Interim Managements vor Ort. Achte nicht nur auf niedrige Preise, sondern arbeite mit bewährten Partnern, die Dein Vertrauen nicht enttäuschen und die Leistung auf den Tag genau erbringen.

22. Pünktlichkeit und Verlässlichkeit: Realisiere Projekte präzise nach einem ausgearbeiteten Plan, der das Objekt schont und es der Öffentlichkeit pünktlich wieder frei gibt. Im Fall des „Arc de Triomphe, wrapped“ begannen die Arbeiten nach dem Nationalfeiertag am 15. Juli und der Abbau soll am 10. November beendet sein. Viel Aufwand für drei Wochen vom 18.09.2021 bis 3.10.2021.

Kunst soll inspirieren und bewegen. Auch eine Gemeinsamkeit mit Management!

Der Autor:

Diplom-Volkswirt Dietmar von Polenz stellt seit Anfang 2009 mit der von ihm gegründeten INTERIM[4]AUTOMOTIVE seine in fast allen Bereichen der industriellen Wertschöpfungskette gewonnene Expertise und weltweit erprobte Führungserfahrung als Interim Manager und unabhängiger Berater flexibel, befristet und individuell in den Dienst Ihres Unternehmens.

In 28 Jahren als Führungskraft im Daimler-Konzern hat er mehrfach auf vier Kontinenten komplette neue Geschäftssysteme und Werke in Gesamtverantwortung aufgebaut. Als Interim Manager hat er bei OEM und tier1 Zulieferern in den Branchen Automotive und Luftfahrt anspruchsvolle und sehr zeitkritische Projekte mit den Schwerpunkten Werkleitung, Geschäftsleitung, Produktion, Serienanlaufmanagement und Produktentstehung erfolgreich geführt.