ESG ohne Compliance ist nicht glaubwürdig

Ein Beitrag von Rudolf X. Ruter // Experte für Corporate Governance

Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als neue Währung.

Der Kunde von heute will in erster Linie Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit kaufen. Erst in zweiter Linie fragt er nach technischen, wirtschaftlichen und ästhetischen Elementen der zu erwerbenden Produkte und Dienstleistungen. Verlässlichkeit strahlt Sicherheit und Sorgfalt aus. Einer verlässlichen Person kann man trauen. Verlässlichkeit lässt sich nicht trainieren. Ein Mensch, der wiederholt seine Versprechen nicht gehalten hat, wird seine Versprechen auch künftig nicht halten.

Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit entwickeln sich immer mehr zu einer neuen Währung im Wirtschaftsleben (vgl. meinen letzten Beitrag zum Thema Ehrbarer Interim Manager und ehrbarer Auftraggeber) und sind die Basis für Vertrauen – nicht nur im Wirtschaftsleben.

Führung basiert auf Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit

Führung ist die Kunst, Menschen zu überzeugen und sie zur Gefolgschaft einzuladen, sodass sie freiwillig das tun, was ich, der Interims Manager (als Führungskraft), für das Richtige halte für mein Unternehmen. Also nicht ich „mache“ mich zum Führer, sondern meine Mitarbeiter entscheiden, ob ich ein Führer „bin“.  Nicht ich erschaffe ein erfolgreiches Unternehmen, sondern meine Kunden entscheiden, ob meine Produkte kauffähig sind.

Ohne Gefolgschaft und ohne Kunden gab es noch nie eine erfolgreiche Führung bzw. ein erfolgreiches Unternehmen. Führungsverhalten muss also klar, konsequent, nachvollziehbar und authentisch sein. Nur durch dieses Verhalten wird Vertrauen aufgebaut und gelebt. Ein Interims Manager muss für sich und für das Unternehmen Verantwortung übernehmen. Sein Führen muss zukunftsfähig sein. Zukunftsfähige gelebte Führung schafft Vertrauen und hilft dem Unternehmen erfolgreich und nachhaltig zu sein. Nachhaltige Unternehmensführung ist ein langfristiges, wertebasiertes und gegenüber Menschen und Umwelt Verantwortung forderndes, gelebtes Konzept, das auf Vertrauen beruht (siehe auch Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung – Erfolg durch verantwortungsvolles Management, 2. Auflage, ESV 2015 unter www.esv.info/978-3-503-16315-1).

Ohne Vertrauen gibt es keine Führung. Und ohne Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit gibt es kein Vertrauen.

ESG und Compliance bzw. Regeltreue

Der Begriff ESG stammt aus dem Englischen und steht für eine Orientierung an den Bereichen E wie Environment (Umwelt), S wie Social (Gesellschaft) und G wie Governance (Unternehmenssteuerung bzw. -führung) und hat den Begriff CSR bzw. Nachhaltigkeit in der aktuellen Diskussion abgelöst. Wesentlicher Bestandteil des dritten Bereichs Governance ist u.a. Compliance.

Compliance bzw. Regeltreue (auch Regelkonformität) ist in der betriebswirtschaftlichen Fachsprache der Begriff für die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien in Unternehmen, aber auch von freiwilligen Kodizes. Die Gesamtheit der Grundsätze und Maßnahmen eines Unternehmens zur Einhaltung bestimmter Regeln und damit zur Vermeidung von Regelverstößen in einem Unternehmen wird als Compliance- und Integritäts-Managementsystem bezeichnet.

Die Prävention von Rechtsverstößen und Gesetzesverletzungen in Unternehmen nimmt derzeit eine Top-Position in der Debatte um eine verantwortungsvolle und nachhaltige Unternehmensführung ein. Gemäß der neuen Empfehlung A. 5 DCGK (2022) muss der Vorstand zukünftig die wesentlichen Merkmale des gesamten internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems im Lagebericht beschreiben und dort auch zur Angemessenheit und Wirksamkeit dieser Systeme Stellung nehmen.

Beinahe losgelöst hiervon wird (oft unter dem Label „CSR“ = Corporate Social Responsibility) diskutiert wie Unternehmen durch ein systematisches Nachhaltigkeitsmanagement die beiden Maximen „Keep us out of trouble“ und „Make our business better and sustainable“ gleichzeitig erfüllen können.

Konvergenz von ESG und Compliance

Wenn gelebte Nachhaltigkeit bzw. ESG zur kontinuierlichen Wertsteigerung im Unternehmen beiträgt, stellt sich die Frage nach der Konvergenz von ESG und Compliance. Beide haben als unverzichtbare Grundlage ein geeignetes, also wirkungsvolles, angemessenes und konsequentes (mit Sanktionen hinterlegtes) Compliance- und Integritäts-Management-System. „Nur was gemessen wird, wird auch erreicht“.  Ganz im Sinne von Galileo Galilei „Messen, was messbar ist, und messbar machen, was nicht messbar ist.“ Auch wenn Einstein schon daraufhin wies: „nicht alles, was zählt, kann gezählt werden, und nicht alles was gezählt werden kann, zählt“!

Nur gemeinsam mit Compliance kann das Nachhaltigkeitsmanagement im Unternehmen, sofern es ganzheitlich in die gesamte Wertschöpfungskette implementiert wird, erfolgreich sein. Mit einfachen, eindeutigen und lebensnahen integrierten Regeln können Friktionen und Widersprüche vermieden und Synergien zur Steigerung des Unternehmenserfolges ausgeschöpft werden. Wesentliche Synergien bestehen in der ganzheitlichen Umsetzung ökonomischer, ökologischer und sozialer Themen, insbesondere Regelungen zu Anti-Korruption, Geldwäsche, Wettbewerbsregeln, Umweltstandards und Menschenrechten – all diese Vorgaben können von Unternehmen nicht isoliert betrachtet und in separaten Prozessen verarbeitet werden.

Corporate Governance – Verantwortung vernetzt leben

Alle Entscheidungsebenen einschließlich Interim Manager müssen ihre Verantwortung vernetzt leben. Bei entsprechender Umsetzung aller Handlungsempfehlungen auf allen Entscheidungsebenen kann ein wesentlicher Beitrag zum Unternehmenserfolg sowie zur Erkennung bestandsgefährdender Risiken und erfolgssteigernder Chancen für das Unternehmen geleistet werden. Der Internen Revision kommt bei der Sicherung des Fortbestands des Unternehmens dabei eine wichtige Rolle zu (vgl. Fachmagazin 07-08/2021 DER AUFSICHTSRAT auf den Seiten 111 – 113 zum Thema „Corporate Governance – Verantwortung vernetzt leben“ unter www.ruter.de/?p=5465).

Dabei hilft Konvergenz; das innovative Zusammenwachsen verschiedener unternehmerischer Bereiche und Inhalte zur fachübergreifenden Zusammenarbeit mit dem Ziel einer effizienteren und effektiveren Aufgabenbearbeitung. Hier kann der Interim Manager mit seiner breiten, in verschiedenen Unternehmen gesammelten Erfahrungen wertvolle Dienste leisten. Konvergenz muss also mit konkreten Themen und Inhalten ausgefüllt werden. Sowohl Nachhaltigkeit als auch Compliance bedürfen dabei der gleichen transparenten und persönlich vorgelebten Werte-Orientierung im Unternehmen. Die entsprechenden Kompetenzen sind hierbei im gesamten Konzern auszubauen und anzupassen. Auch die Ressourcenausstattung muss im Unternehmen den schnell wachsenden Anforderungen sowohl im Bereich Nachhaltigkeit als auch Compliance angepasst werden.

ESG ist ohne Compliance nicht glaubwürdig.

Nur eine transparente, verantwortungsvolle, authentische und nachhaltige Unternehmensführung schafft Vertrauen. Agieren muss kohärent sein – ohne Doppelzüngigkeit. Nichts untergräbt die Glaubwürdigkeit des Unternehmens und das Vertrauen seiner Mitarbeiter mehr als großes Nachhaltigkeits-Engagement nach Außen gepaart mit schlechten Arbeitsbedingungen und Non-Compliance im Inneren des Unternehmens. Feigenblätter werden heute sehr schnell erkannt.

Grundsätze guter und nachhaltiger Unternehmensführung können also auch für den Interim Manager Orientierungspunkte und Leitplanken für sein nachhaltiges Erfolgsmanagement liefern.  Einfach, „die richtigen Dinge immer richtig tun“. Allerdings ist eine Überprüfung der Einhaltung dieser Werte-Orientierung, aller anderen Gesetze und Richtlinien in Unternehmen, sowie auch der freiwilligen Kodizes stets notwendig. Oder wie Winston Churchill es formulierte: „Wie schön die Strategie auch sein mag, man sollte hin und wieder mal die Ergebnisse betrachten“. Ohne Compliance ist ESG nicht glaubwürdig.

Rudolf X. Ruter, ist Wirtschaftswissenschaftler, Autor, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Finanzexperte im Sinne des AktG und Unternehmensberater und gilt als einer der anerkanntesten Fachexperten für das Thema Corporate Governance in Deutschland. Er ist derzeit u. a. Mitglied der Expertenkommission des Deutschen Public Corporate Governance – Musterkodex und Mitglied des Beirats Financial Experts Association e.V. (Berufsverband für Aufsichtsräte), der Beiräte Baden-Württemberg und Mitglied der Deutschen Digitalen Beiräte. Er hat zahlreiche Publikationen u. a. zum Thema Nachhaltigkeit, Corporate Governance, Compliance, Aufsichtsrat/Beiräte und Unternehmensführung veröffentlicht und moderiert den zweiwöchigen Livestream / Video / Podcast „Aufsichtsrats-Talk“ bei Directors Academy.

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