Elektromobilität trotz(t) Corona

Ein Beitrag der DDIM.fachgruppe // Automotive
Autor: Dietmar von Polenz, INTERIM[4]AUTOMOTIVE

Die Wirtschaftskrise aus der COVID19 Pandemie beschleunigt den schon vorher begonnenen Strukturwandel der Automobilindustrie und ist für viele Hersteller und Zulieferer akut existenz­bedrohend. Von den Zukunftstrends CASE (connected, automated, shared, electric) wird im wesentlichen nur “E” wie Elektrifizierung & Hybridisierung der Fahrzeuge, Triebstränge und Ladeinfrastruktur von staatlichen Förder­pro­gram­men in vielen Ländern unterstützt. In manchen Ländern auch der Einstieg in grüne Wasserstofftechnologie als Wegbereiter der Brennstoffzelle mit Haupt-Perspektive schweres Nutzfahrzeug.

Dennoch gibt der Markt als entscheidender „pull“-Faktor Tempo, Volumen und Finanzierbarkeit der Transformation zur E-Mobilität vor, trotz des nicht zu unterschätzenden „push“-Einflusses von staatlichen Regulierungen, Besteuerungen, Fahrtbeschränkungen für Verbrennungsmotoren in urbanen Ballungsräumen, Zulassungsvorschriften, CO2 Besteuerung und nicht Technologie-offenen gesetzlichen Vorgaben. Denn der „tipping point“ des Umsteigens von Privatkunden und Flottenbetreibern auf e-Mobilität setzt noch nicht vorhandene Angebote preisgünstiger e-Fahrzeuge für den Massenmarkt, wettbewerbsfähige TCO (total cost of ownership einschliesslich Restwerte), deutlich günstigere Batteriekosten (und -gewicht), höhere Restwerte e-Fahrzeuge und akzeptierte Reichweiten voraus. Für die Finanzierung der Vorratsentwicklungen zur Transformation zur e-Mobilität wirken trotz Fördergeldern durch die Krise dramatisch gesunkene Stückzahlen fatal und disruptiv:

  • Durch eingebrochene Absatzerlöse, Auslastung, Skaleneffekte und Renditen fällt die Quer­finan­zie­rung aus dem angestammten Verbrenner-Volumengeschäft weg.
  • Vielen Lieferanten und Start-ups als innovativen Kooperationspartnern fehlen Aufträge, Absatzperspektiven und Liquidität als Überlebensvoraussetzung.
  • Getätigte Investments in Entwicklungen und Anlagen für elektrische Fahrzeuge kommen vermehrt in Overshooting-Gefahr, da für die Amortisierung erwartete Marktperspektiven und Kapazitätsauslastung durch die Krise nicht oder zu spät kommen.
  • Gezielte staatliche Förderung des Erwerbs neuer E-Fahrzeuge kompensiert den Wegfall von Kaufkraft der Kunden allenfalls in China. Die nach Regierungsstatistiken schnellere Erholung des chinesischen Marktes nach dem lock-down gibt chinesischen Firmen Wettbewerbsvorteile bei Cash Flow, Stückzahlen, Marktanteilen. Sie können Investitionen in Produktentwicklungen und Firmenübernahmen besser finanzieren als Ihre Konkurrenten auf anderen Kontinenten und verfügen über alle nötigen Rohstoffe im Land. Produzenten von e-Fahrzeug Komponenten werden noch abhängiger von chinesischen Lieferanten, trotz aller Bestrebungen zur Regionalisierung der supply chains nach COVID19.

Transformationsbedarf in der Elektromobilität

Der massive Transformationsbedarf der Automotive Betriebe im klassischen Verbrennungs­motor-Geschäft ist Allgemeingut und unaufhaltsam. Verstärkt durch die vier Kriseneinflüsse müssen Manager und Interim Manager auch schon im Zukunfts-Geschäftsfeld e-Mobilität Strukturen und Prozesse rasch verändern. Auf fünf disruptiven Transformationsfeldern, die in der breiten Öffent­lich­keit noch wenig bemerkt werden:

  1. Fokusierung des Portfolios der elektrifizierten Antriebe ergibt sich zwingend aus den stark reduzierten Mitteln für F&E und Industrialisierung. Hybrid-Layouts P1 bis P5 plus deren Halb-Kategorien durch ansteuerbare Zusatz-Kupplungen plus mehrere Spannungsebenen von 48V mild hybrid bis Hochvolt 800V und höher können nicht in jedem Fahrzeug als Antriebs-Derivate angeboten werden. Schon 2018 zählte AVL auf dem CTI Symposium Berlin mehr als Antriebstopologien allein bei PKW, die nicht alle simultan weiterverfolgt werden können. Die Priorisierung zu den vielver­sprechendsten mainstream-Lösungen auf Basis modularer Komponenten-Baukästen mit Mehrfach-Verwendung und weitest­gehender Funktions­integration muß kommen.
  2. Shake out der zu vielen Anbieter, die wie immer bei neuen Geschäftsfeldern von innerhalb und ausserhalb der Autoindustrie in junge Zukunftsmärkte einstiegen. Er hat schon Opfer gefordert (Fisker mehrmals, Dyson-Ausstieg, Borgward, Byton, …) und wird sich verstärken, wie vergleichbar bei Mobilfunknetzen und Mobiltelefonen erlebt.
  3. Staatliche Industriepolitik wie das Investment des chinesischen Regionalstaats Jiangsu und der Staatsfirma FAW bei Byton kann globale Markttrends nicht umkehren und verschwendet Steuergelder. Dem Überangebot von schweren elektrifizierten SUV – noch extremer als PHEV plug in hybrid – und einem überschätzten trickle-down Effekt von Premium zu Massenprodukten steht ein zu dünnes Angebot von für jedermann erschwingliche E-Fahrzeugen gegenüber, solange Batterien teuer und schwer bleiben.
  4. Batterien sind technologisch und von Angebotskapazitäten her ein limitierender Faktor, solange sich die Mehrheit der OEM auf wenige große Anbieter aus China, Korea und Japan verlässt. Seltene Erden, Kobalt, Lithium, Platin und andere Grundstoffe der E-Mobilität stammen aus wenigen Ursprungsländern mit oft fragwürdigen Gewinnungs­methoden. Der Energieeinsatz zur Herstellung von Elektroautos und Verbundwerkstoffen für Leichtbau zum Ausgleich der hohen Batteriegewichte ist deutlich höher als bei konventionellen Fahrzeugen. Am Ende des Produktlebenszyklus sind großtechnische Geschäftsmodelle und Prozesse zum Recycling von Antriebsbatterien und Verbundwerkstoffen in einem geschlossenen Kreislauf nicht definiert, erprobt oder gar installiert. Damit ist eine volle nachhaltige Marktreife der e-Mobilität noch nicht erreicht und ökologisch lückenhaft.
  5. E-Achsen: Die Entwicklung hochintegrierter e-Achsen mit komplettem Fahrwerk, Antrieb, Getriebe, Ausgleichsgetriebe, Leistungselektronik, Kühlsystem, Bremssystem in einem Antriebsmodul erleichtert newcomern, ins Fahrzeug-Geschäft einzusteigen oder Skaleneffekte solcher Antriebe in vielen Fahrzeugen Hersteller-übergreifend zu nutzen.

Hinzu kommen die technischen Fortschritte und Einzel-Innovationen bei Elektromotor-Konzepten, Herstellungsverfahren, Halbleitern (Silicium-Carbid), Batterien, mehrstufigen Getrieben, on-board und off-board Ladesystemen, Fahrstrategien einer vor über 100 Jahren begonnenen Technologie, die nach langem industriellen Dornröschenschlaf abseits jeden Großserieneinsatzes jung und innovativ geworden ist.

Strategische Technologie-Offenheit

Die meisten politischen Vorgaben zur CO2 Reduzierung von Fahrzeugen sind in den grossen Wirtschaftsräumen der Welt nicht Technologie-offen. Umweltbilanzen von Fahrzeug­kon­zepten und Energie­trägern werden oft nur „well-to-wheel“ und nicht „cradle to cradle“ betrachtet. Emissionen vom Gesetzgeber manchmal nur lokal bewertet. Dies führt zu staatlicher Fehlsteuerung von Marktkräften und Produktentwicklungen durch Vorschriften, Steuern, Abgaben und Subventionen.

Politiker und Aktionäre setzten in den letzten Jahren oft einseitig auf Elektromobilität, was an den Börsenwerten von TESLA, NICOLA und anderen start-ups im Vergleich zum legacy-business der OEM und Systemlieferanten ablesbar ist. Der Innovationsdruck in der e-Mobility als jungem Wachstumsmarkt ist enorm. Insbesondere deutsche Firmen müssen ihren hohen Anteil an weltweiten Patent­anmeldungen in hohe Stückzahlen auf dem Weltmarkt umzumünzen und auf die richtigen Technologien mit wettbewerbsfähigen Produkten setzen und dürfen nicht wieder in der Vermarktung wie bei anderen Technologien versagen.

Manager und Interim Manager in privatwirtschaftlichen Unternehmen müssen jederzeit – noch dazu in der Krise – Auslastung, Kosten, Rendite und gesicherte Liquidität des Unternehmens und des Geschäftsmodells erreichen. Ihr Ansatz muß daher flexibel und Technologie-offen sein, zumal die Weltregionen noch einige Jahre unterschiedliche Markt­anteile der E-Mobilität haben werden. Südamerika mit seiner Bioalkohol Treibstoff-Strategie hindert oder verzögert E-Mobilität. In amerikanischen Bundesstaaten und Europa ist die Förderung der Elektrifizierung und die Gesetzgebung im gleichen Wirtschaftsraum höchst unterschiedlich. China entspricht nicht anderen asiatischen Ländern und Afrika und Indien sind weitere Sonderfälle. Technologie-Offenheit bedeutet die nächsten Jahre einerseits effizient und wettbewerbsfähig moderne Fahrzeuge mit Verbrennungs­motoren noch maßvoll weiter zu entwickeln und zu produzieren, um große – im langfristigen Trend rückläufige – Marktvolumina unter Vermeidung von Überkapazitäten zu bedienen und die Zukunftsentwicklungen zu querfinanzieren. Anderseits rechtzeitig im passenden Ausmaß an den richtigen Orten in der Welt Produkte und Kapazitäten für elektrische und elektrifizierte Fahrzeuge aufbauen ohne Leerkapazitäten und ohne Fehleinschätzung der schwierig prognostizierbaren Marktnachfrage. Wer aus der Verbrennungsmotoren-Technik kommend noch kein e-Mobilität Standbein aufgebaut hat, muß schon heute sehr disruptiv, innovativ und kapitalstark sein, um noch in den Markt zu kommen.

Bei allen schnellen, vielfältigen und komplexen Strukturveränderungen werden Unternehmen von Interim Managern interdisziplinär unterstützt und befähigt.

Über den Autor

Dietmar von Polenz ist DDIM-Mitglied und Interim Manager mit den Schwerpunkten Automobilproduktion und Management von Produktentwicklung und Serienanlauf seit 2009. Die Kunden seiner Firma INTERIM[4]AUTOMOTIVE sind die Innovationsführer als OEM, globale Systemlieferanten tier1 und Familienunternehmen tier2. Diplom-Volkswirt Dietmar von Polenz hat auf 4 Kontinenten seit 1980 Automobil- und Zulieferfabriken aufgebaut oder operativ geleitet und beherrscht die Wertschöpfungsketten für PKW und Nutzfahrzeuge mit konventionellem und elektrischen Antrieb.

INTERIM[4]AUTOMOTIVE
www.interim4automotive.com

Über die Fachgruppe

Die 30 Mitglieder der DDIM.fachgruppe Automotive wenden sich an Automobil­zuliefer­unternehmen, Automobilhersteller und -importeure, Automobilhändler und -handels­­gruppen, an die Anbieter im Aftermarket und alle weiteren Mobilitäts­anbieter.
Wir werden Ihnen dabei helfen, aus der Corona Krise wieder schnell, gestärkt und zukunfts-sicher ausgerichtet in die Erfolgsspur zurückzukehren. Nutzen Sie in Ihrem Unternehmen temporär und flexibel die langjährige Erfahrung, die Umsetzungsstärke und gestandene internationale Führungs-Erfahrung unserer Interim Managerinnen und Manager!

Wir freuen uns auf den Kontakt mit Ihnen.

DDIM.fachgruppe // Automotive
Dachgesellschaft Deutsches Interim Management e. V.