Digitalisierung – Schreckgespenst, Heilsbringer, Jobvernichter, Lösung für alles, … – eine Betrachtung

Aus den heute üblichen Vorträgen: „Uber hat keine Autos, kein Invest!“, andächtiges Nicken der durch das Schlagwort Digitalisierung herbeigerufenen Manager. Die Taxizentrale in Oberdummbach hatte auch noch nie Autos. „Amazon hat keinen Laden!“, oh wie erstaunlich für einen Onlinehändler – die bauen sie jedoch gerade auf. Airbnb braucht natürlich keine Wohnungen als Vermittler. Vermittler, das sind viele. Sie alle machen nichts Neues, jedoch neu, sie bringen z.B. einen Dienst aufs Smartphone und so dem Kunden näher. Zum Verstehen genügen nicht die Plattitüden, nicht die aufschreckend wirkenden Scheinerkenntnisse der Vortragenden. Das Thema ist vielschichtiger.

Text: Brendt Wucherer

Digitalisierung existiert seit Zuse. War es am Anfang die Wissenschaft, das Militär, folgten bald Behörden und in den 80ern drang der Personal Computer zuerst in die Büros, dann in die Wohnungen ein. Ab 2000 wurden die Produktionsprozesse von Zuruf und Zettel konsequent automatisiert, digitalisiert und robotisiert. Heute stellt Kuka für Automobilhersteller fast völlig automatisierte Robot-Produktionsstraßen oder gar Werke nach Wunsch irgendwo auf die grüne Wiese.

Halten wir fest: Digitalisierung ist nicht neu, im Gegenteil, sie findet seit langem immerfort statt, ähnlich, wie die ständige Weiterentwicklung der Dampfmaschine seit der Effizienzsteigerung durch James Watt. Irgendwann in solchen Entwicklungsprozessen werden durch die sich entwickelnden Basistechnologien Dinge möglich, die gegebenenfalls schon lange erdacht, jedoch nicht umsetzbar waren. Bei der Dampfmaschine wurden über die Zeit die Zylinder stabiler, die Dichtungen machten höhere Drücke möglich und so fort. Ansätze und Hebel der Veränderung.

Gleichzeitig ergibt sich auch eine Rückwirkung der digitalen Technologien auf andere Technologien, auf Herstellungsweisen und auf unser Verhalten, was aber nicht bedeutet, dass digitale Technologien Atome ersetzen, also einen Apfel oder einen Autoreifen, auch wenn sie online gehandelt und mit digitalisierten Technologien produziert werden.

Prozess des Produzierens

Grafik wucherer ddim

Vier Hebel verändern zur Zeit Industrien, Gesellschaft und Einzelpersonen

Mit diesem Grundgedanken trennen wir nun das Digitale vom Atom, die Information vom Werkstück. Ein 3D Drucker produziert mit physischen Legierungen ein Werkstück für ein Flugzeug. Auch das ist ohne die heutige Leistung der Computerisierung nicht möglich. Das Werkstück könnte man auch drehen, oder noch primitiver feilen oder schmieden; ggf. zu höheren Kosten, nicht vor Ort, nicht in Kleinstserie, usw. Oft hat die Automatisierung zusammen mit der Digitalisierung nicht das Ergebnis verändert, sondern den Prozess des Produzierens. Uber hat die Taxizentrale digitalisiert und die Reservierung, Bezahlung und Transparenz in die Hände des Kunden gelegt. Vor Smartphone und GSM nur denkbar.

Das Modell der Darreichung ist neu. Manch einer mag nun sagen: „Und das Geschäftsmodell …“, dieses Urteil überlasse ich dem geneigten Leser. Wer früher in der Dorfkneipe den Partner suchte wird heute digital von LOVOO anscheinend schon vorher betrogen. Auch ein Geschäftsmodell. Es gibt viele, aber nicht alle sind Arbitrageure.

Heute werden, abhängig von der Branche, bereits bis zu 30% der Umsätze, laut Statista.com, mit Produkten gemacht, die vor einigen Jahren nicht existierten. Apple Music, OTT Telefonprodukte, Games u.v.m. als Beispiele im rein digitalen Bereich, aber auch ein komplett am Computer errechnetes Fahrzeug von EDAG, dessen Karosserie und in Zukunft immer mehr Teile aus dem 3D Drucker kommen – schlechte Nachrichten für Werkzeugbauer; oder Polyphonic HMI, das festlegt welche Songs einträglich sind – schlechte Nachrichten für die Musiker; oder Klöckner mit Stahlblechen on Demand durch direkten Zugriff des Bestellers auf die Produktion – gute Nachrichten für Kleinserienbauer. In manchen Bereichen wie Analyse, Big Data, Mobil, Cloud, Social Media, Nachrichten- und Informationsverbreitung usw. hat die Digitalisierung annähernd 100% erreicht. Ein Zeichen für jeden darüber nachzudenken, ob man nicht doch die eigenen Modelle und Prozesse einmal unter die Lupe nehmen sollte, bevor es ein anderer tut.

Und der Zug ist in Fahrt: Nach nur 30 Jahren hat im Oktober 2014 die Anzahl der mobilen Geräte mit 7,22 Milliarden die Bevölkerung von 7,20 Milliarden überholt!

Digitalrezept der Wirklichkeit

Grafik wucherer ddim

Wir stellen immer die gleichen Fragen: Warum, Was, Wie, Wozu

Ich habe mir erlaubt, ein etwas weniger hypeträchtiges, eher „normales“ Beispiel zu nehmen, in dem Sie gerne alle Teile austauschen können. Lassen Sie Ihre Phantasie fliegen, nehmen Sie Ihre Anforderung!

Rezeptinhalt

Man nehme: ein Röntgengerät, MRT oder ähnliches; ein EKG; ein paar Mess- oder Analysegeräte; dazu einen Arzt und einen Patienten mit einem Leiden; schulende Schwestern; eine Krankenkasse; Telefonkabel, LWL, GSM; Lebenspartner und Nachbarn; den Hausarzt; Rettungsdienste; und so manches mehr.

Dazu einen, der das alles versteht und zusammensetzen kann; eine Handvoll Programmierer; einen Projektleiter und ein paar kundige Helfershelfer.

Rezeptanwendung

Patienten mit kardiovaskulären Störungen (Herzpatienten) haben, durch Schwestern eingeschult, eine Waage, ein EKG-Gerät, ein Blutdruck-messgerät usw. verbunden mit einem Smartphone oder Tablett zu

Hause. Die morgendliche Anwendung versendet automatisch die Daten an die Charité in Berlin zur Telemedizin. Die Vitalwerte werden dort mit dem Krankheitsverlauf in der elektronischen Krankenakte, die auch der Hausarzt füllt, abgeglichen, ggf. vorher im Rechner bereits voranalysiert. Wird etwas Auffälliges gefunden, erfolgt ein Chat oder Anruf, ansonsten nichts. Kommen keine Daten oder ist der Patient nicht erreichbar, werden die Notfallnummern Lebensgefährte, Nachbar, … bis zum Rettungsdienst durchgearbeitet.

Rezeptergebnis

Die Telemedizin erspart dem Patienten Reise- und Wartezeiten, senkt die überwachungs- und postoperativen Kosten, entlastet die Ärzte, ermöglicht ein sehr detailliertes und über lange Zeit kontinuierliches Krankheitsbild, schafft Sicherheit, rettet Leben, erzeugt Vertrauen und Zusammenarbeit.

Was tun

Um all das in den Griff zu bekommen, gibt es ein paar grundlegende Fragen zum Vorhaben und einen Prozess, der die Digitalisierung ermöglicht. Ein Auszug.

  1. Wie lautet meine Unternehmensstrategie (Zeiträume, Entwicklung, Märkte, Produkte, …)?
  2. Was können wir schon davon und sind das die richtigen Produkte oder Services?
  3. Was davon ist wie bereits digitalisiert?
  4. Blick über den Tellerrand: Was tut sich in diesem Bereich bei Anderen, Quereinsteigern, Newcomern?
  5. Was/wie soll die Architektur sein und was muss darauf abgestimmt werden?
  6. Welche Geschäftsprozesse und Modelle berührt das und was muss angepasst werden?
  7. Was muss deswegen zusätzlich und in welcher Priorität digitalisiert werden?
  8. Was soll nicht digitalisiert werden und wie sollen die Ergebnisse überführt werde
  9. Erfahre ich was ich wissen muss aus dem Unternehmen? Wie ist unsere Kultur? Sind wir agil
  10. Habe ich die richtigen Leute an Bord und bin ich attraktiv für digital natives?

Und so könnte aus unserer Sicht die Grunddiskussion in der Charité gewesen sein (siehe Grafik oben).

Übrigens, wir bei BSS machen solche Projekte. Digitalisierung ist für uns kein Schreckgespenst sondern eine Chance, ein notwendiger Weg.

Brendt Wucherer

Brendt Wucherer

BSS Unternehmensentwicklung

Brendt Wucherer, CEO und Gründer der BSS Unternehmensentwicklung in München, ist DDIM- und DÖIM-Mitglied. BSS unterstützt die nachhaltige Entwicklung von Unternehmen, Organisationen und Teilen davon sowie auch einzelnen Personen in Bezug auf Fähigkeiten und Entfaltung. Schwerpunkte sind Transformation (Change und Transition), Unternehmenskultur, Prozesse, Mediation und Coaching.

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