Die Automobilbranche in Deutschland: Zukünftiger Sanierungsfall?

Wie in einem hoch dynamischen Umfeld die Aktualität von Geschäftsmodellen über Gewinnen oder Verlieren entscheiden kann.

Text: Dr. Karl Werdich

In den letzten beiden Jahrzehnten haben wir dynamische Veränderungen in der Automobilindustrie und der zugehörigen Zulieferindustrie beobachten können. Beispielsweise vervielfachte sich der Pkw-Absatz in China, während die Triade-Märkte stagnierten. Nach der Lean-Welle hielten Baukasten- und Plattformstrategien Einzug, die Wertschöpfungstiefe veränderte sich, Kosteneinsparungen wurden vermehrt bereits zu Beginn der Entwicklung betrachtet („Target Costing“) und der technologische Wandel übte starken Einfluss auf die Automobilbranche aus.

Gerade die aktuellen technologischen Entwicklungen (u. a. Elektromobilität und autonomes Fahren) getrieben durch die Fahrzeughersteller, die Kundenwünsche, neue Wettbewerber wie z. B. Uber, Dixi Chuxing, Google, Apple, BYD, Tesla, LeEco und Atieva und nicht zuletzt durch Umweltbestimmungen und Förderungen des Gesetzgebers scheinen in den nächsten Jahren das automobile Umfeld weiter gravierend zu verändern.

Der deutschen Automobilbranche geht es (noch) gut
Die deutschen Autobauer und damit auch die Zulieferindustrie stehen vor vielen Herausforderungen – Abgas-Affäre(n), Marktteilnehmer aus Niedriglohnländern, Elektromobilität und autonomes Fahren, um nur einige davon zu nennen. Medienberichte zufolge spricht vieles dafür, dass sich der beschleunigte Wandel der letzten Dekade weiter fortsetzen oder die Dynamik teilweise noch gesteigert wird. Die Geschäftsmodelle und damit die Strategieausrichtungen der jeweiligen Unternehmen werden somit einem Stresstest unterzogen.

Es lässt sich vermuten, dass die Anforderungen aus dieser Transformation nicht alle Unternehmen des Mittelstandes aber auch der Großindustrie ohne fremde Hilfe schaffen werden. Für diejenigen die bereits heute mit niedrigen Kapitalreserven und Gewinnspannen oder bereits mit hohen Verlusten kämpfen, könnte sich der Himmel in Zukunft noch weiter verdunkeln. Bis zum heutigen Tage ist die deutsche Automobilbranche jedoch immer wieder
gestärkt aus Krisen hervorgegangen – können wir also auch zukünftig darauf bauen?

Restrukturierungswelle und Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit
In den 1990er Jahren wurden durch eine große Restrukturierungswelle annähernd 160.000 Arbeitsplätze wegrationalisiert. In den darauffolgenden Jahren erholte sich jedoch diese Schlüsselbranche der deutschen Wirtschaft wieder, auch wenn temporäre Konsolidierungsphasen in den folgenden Jahren nicht ausblieben. Seit 2010 steigen die Beschäftigtenzahlen in diesem Wirtschaftszweig kontinuierlich an, die laut VDA-Jahresbericht 2016 in den Stammbelegschaften den Wert von über 800.000 Mitarbeitern erreicht hat. Nicht ganz außer Acht sollte man die vorgelagerten Branchen wie den Maschinenbau, die Stahl- und Kunststoffherstellung und die Chipproduktion lassen, da hier nochmal mindestens genauso viele Menschen indirekt für die Fahrzeugindustrie arbeiten. Pressemitteilungen beispielsweise der Volkswagen AG über Personalabbau lassen jedoch

Die Automobilbranche in Deutschland: Zukünftiger Sanierungsfall?
daran zweifeln, dass dieser Höhenflug weiter anhalten wird. Befürchtungen aus den Reihen der Betriebsräte legen sogar nahe, dass erheblich weniger Mitarbeiter für bestimmte Entwicklungsarbeiten notwendig sein werden. So gehen Schätzungen davon aus, dass beispielsweise für die Entwicklung von Elektromotoren nur noch ca. 15-20% der aktuellen Kapazität im Vergleich zum konventionellen Motorenbau notwendig sein wird. In einem ähnlichen Maße wird sich auch die Verringerung der Anzahl der Motorenkomponenten bewegen und damit die traditionelle Zulieferindustrie unter Druck setzen. Ausschlaggebend für die Weiterführung des bisherigen Erfolgs werden jedoch andere Faktoren sein, allen voran das Erkennen des notwendigen Wandels für die Bewahrung der Wettbewerbsfähigkeit.

Branchenvergleich am Beispiel Nokia
Wir sprechen gerne von deutschen Premiummarken und proklamieren die Spitzenposition für unsere Hersteller. Sind jedoch die traditionellen Unternehmen in der Lage die Anpassung an eine sich schnell wandelnde Branche zeitnah vorzu-nehmen?

Gerne führe ich einen (wenn auch gewag-ten) Vergleich an: Wir alle kennen Nokia noch als unumstrittenen Weltmarkführer. Noch vor zehn Jahren stammten über 40% der weltweit verkauften Mobiltelefone von Nokia und durch die Internetfähigkeit einiger Modelle wurde auch der Smartphone-Markt, der damals natürlich noch sehr klein war, beherrscht. Im Jahr 2007 wandelte sich der Markt jedoch fundamental – Touchscreens und Apps änderten die Spielregeln und machen den Verbraucher seither glücklich.

Die Innovatoren im Auge behalten und auch ernst nehmen hätte dem Unternehmen Nokia bestimmt gutgetan. Die Anpassung der Vision und die Ausrichtung der Produkte wurde jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine schwerfällige und eine, außerhalb der eigenen Ideen, innovationsfeindliche Unternehmensstrategie verhindert. Hatte Nokia die Bedürfnisse der Kunden einfach nur falsch eingeschätzt oder haben sie die Strahlkraft ihrer Marke über alles andere gesetzt?

Das Verhalten und die Bedürfnisse des Kunden in den Mittelpunkt stellen
Kaum jemand hätte sich wohl damals vorstellen können, dass Geräte wie das Nokia 6310 mit überragenden Akkulaufzeiten von den stromhungrigen Geräten der heutigen Zeit abgelöst werden könnten. Aber auch daran haben wir uns als Kunden mittlerweile gewöhnt und der tägliche Ladevorgang gehört heute einfach dazu. Angewendet auf die heutige Zeit stellen sich hier einige Fragen: Könnten Elektromobilität und das autonomen Fahren der neue Trend sein? Verschlafen die klassischen Automobilakteure einen möglichen Boom? Sind die Traditionalisten in der Lage Pfade abseits der Lösungen zu beschreiten, die den bisherigen Erfolg gebracht haben?

Vielleicht baut Apple nun doch kein eigenes Auto und Google möchte sich nur als Partner der Automobilindustrie einbringen. Jedoch ist beispielsweise die Übernahme von Harman durch Samsung, die damit ins Geschäft der Auto-Elektronik einsteigen, bereits Realität. Diese aktuellen Ereignisse zeigen, dass die Dienstleistung der Technologie- und Autokonzerne näher zusammenrückt und sich Zielausrichtungen den Marktaussichten anpassen können.

Erfolgreiche Unternehmen von morgen stellen sich auf die Zukunftsmärkte ein
Viele Beispiele aus dem Geschäftsleben bestätigen, dass Unternehmen mit einer klaren Vision mehr Erfolg haben und damit zu den Gewinnern von morgen zählen. Automobilhersteller spüren die schnellen und radikalen Veränderungen, hervorgerufen durch Entwicklungen und Impulse aus den asiatischen Räumen und dem Silicon Valley bereits. Ihnen stehen große Veränderungen bevor, die beginnend bei den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, über die Produktion bis hin zu den Abteilungen des Aftersales und den Markenwerkstätten annähernd zeitgleich Einzug halten werden. Einige der in Deutschland und Europa ansässigen Autobauer werden den Wandel wohl schaffen, andere werden durch neue Marktteilnehmer verdrängt und wieder andere werden zukünftig in neuer Form agieren müssen. Diese Veränderungen sind jedoch nicht auf Automobilproduzenten und ihre Werke begrenzt, sondern beeinflussen vor- und nachgelagerte Bereiche die durch „Automobil-Dienstleister“ versorgt werden. Deren Zahl ist groß in Deutschland – annähernd 700 verfügen über 50 Mitarbeiter und mehr, die Gesamtanzahl wird auf 3.000 geschätzt.
Die Exportorientierung der gesamten Branche lässt seit Jahren die Auslandsumsätze stärker wachsen als den Umsatzanteil im Inland. Dieser Trend wird sich wahrscheinlich noch eine Zeit lang fortsetzen, da der Aufbau von lokalen Produktionsstätten in der Vergangenheit nicht immer von Erfolg gekrönt war. Doch handelt es sich hier wirklich um reines Auslandsgeschäft oder werden Produktionsstätten von deutschen Automobilherstellern im Ausland versorgt oder ist ein Teil des Inlandgeschäftes auch dem erhöhten Absatz der deutschen Kraftfahrzeuge im Ausland zuzuschreiben? Ist der Erfolg auf Bauteile der traditionellen Antriebstechnologien begründet oder werden auch schon die Zukunftstechnologien versorgt?

Werden Pfade abseits der Lösungen, die den bisherigen Erfolg gebracht haben, beschritten oder wird einzig versucht auf das über viele Jahrzehnte erarbeitete Know-how aufzubauen? Des Öfteren hört man von Zulieferern, dass sie Zeit benötigen um sich auf die neue Situation einzustellen – doch wer wird ihnen diese Karenzzeit ermöglichen? Die Konkurrenz und insbesondere die neuen Markteilnehmer bestimmt nicht.

Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand
Laut der Boston Consulting Group bestehen Geschäftsmodelle grundsätzlich aus zwei Faktoren: Dem Nutzenmodell und dem operativen Betriebsmodell. Die Unternehmensdefinitionen der Wertschöpfung, der Kostenstruktur und der Organisation werden dabei der operativen Seite zugeordnet, die Fragen nach den zu bedienenden Kundengruppen und Märkten, dem Produkt-/Serviceportfolio und wie das Unternehmen sein Einkommen erwirtschaftet bilden das Nutzenmodell. Erfolgreiche Geschäftsmodelle erhalten langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und müssen sich im Spannungsfeld dynamischer Faktoren bewähren, was im Normalfall eine statische Auslegung ausschließt.
Nachfolgende Abbildung fasst die beiden Anforderungen zusammen und zeigt in der äußeren Schale eine Auswahl an dynamische Faktoren, wie sie im automobilen Umfeld anzutreffen sind.

Dem Wort „Dynamik“ sollten Sie dabei große Beachtung schenken. Strategische Floskeln und die Weigerung neue Wege einzuschlagen, könnte und wird in den meisten Fällen und auf lange Sicht das sichere Aus für ein statisches Unternehmen bedeuten. Auch wenn Sie aktuell ein sehr gutes Geschäftsmodell haben, werden Sie mit diesem ohne Anpassungen auf lange Frist nicht die zukunftsweisenden Antworten für Ihre Geschäftstätigkeit finden. Die Dynamik des Marktes wird vor keiner Dienstleistung Halt machen.

Kundenvorteil: Automobilindustrie ist eine der Königsbranchen im Interim Management
Laut AIMP-Providerumfrage 2016 – Interessenvertretung professioneller Dienstleister im Interim Management – ist die Automobilindustrie hinter dem Maschinenbau zweitgrößter Kunde im Interim Management. So dürfen Auftraggeber versichert sein, dass sehr viel Branchenerfahrung und Expertenwissen in den Reihen der Interim Manager vorhanden ist. Sollte sich während der Analyse ergeben, dass das Unternehmen bereits Anzeichen für eine Krise missachtet oder schlicht gar nicht bemerkt hat, sind Unternehmen hier ebenfalls gut beraten, da die Dienstleistung Interim Management in der Restrukturierung und Sanierung ihren Ursprung hat und bis heute annähernd jedes vierte Projekt dieser Bedarfssituation zugeordnet werden kann. Dabei bietet die Kombination aus Führungserfahrung und Fachexpertise der Interim Manager neben der Flexibilität und Effizienz dem Kunden größtmögliche Sicherheit den Projektanforderungen gerecht zu werden.

Dr. Karl Werdich ist DDIM-Mitglied.
Mit Erfahrung in der Industrie (Automobil, Luft- und Raumfahrt) und in Manage-mentpositionen innerhalb KMUs unter-stützt er seit mehreren Jahren mittelständische Unternehmen auf Bereichs- und Geschäftsführungsebene. Methodisches Wissen und Praxiserfahrungen im Lean Management sowie als zertifizierter Projektmanagement-Trainer lässt er dabei zur Erarbeitung fassbarer Ergebnisse in seine Projekte einfließen.

Dr. Karl Werdich DKW Interim Management
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